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Geschrieben von Stefan Steinmetz am 12.08.2017 um 16:31:

Das Lehm(17)

Themas kam vor Ungeduld schier um. Es juckte ihn in den Fingern, das Heft gleich zu lesen, doch war ihm die Gefahr zu groß, dabei erwischt zu werden. Er hatte keine Ahnung, wie seine Eltern reagieren würden. Also versteckte er es auf dem Dachboden an einer Stelle, wo seine Mutter es gewiss nicht entdecken würde.
Bei der Gelegenheit untersuchte er die Stelle, die seine Tante ihm genannt hatte. Er fand ein Heft, das seinem aufs Haar glich.
„Sie hat es nicht gefunden, Tante“, flüsterte er. „Du hast es umsonst hier hinterlassen.“ Er fühlte unendliche Traurigkeit in sich aufsteigen. Seine Tante war ein hohes Risiko eingegangen, vor ihrer Flucht dieses Heft auf dem Dachboden der Irrluchts zu deponieren. Wenn seine Mutter es zufällig gefunden hätte, hätte es sein können, dass sie den Fund beim Lehmpriester gemeldet hätte.
Aber vielleicht wäre auch alles ganz anders gekommen.
Wer weiß, überlegte Themas, vielleicht wären wir alle, Vater, Mutter, Thimas und ich damals mit Onkel und Tante und ihren Zwillingen geflohen.

*

Am nächsten Tag steckte er sein Heft ein und machte sich ins Lehm davon. Er nahm sein kleine bronzene Handschaufel mit und zwei Säckchen und gab an, nach Rötel suchen zu wollen.
Er wanderte los und sah zu, dass er weit genug vom Dorf entfernt war, bevor er sich in ein Knorrengebüsch verzog. Er kannte die Stelle. Es gab dort besten Rötel. Bevor er das Heft las, füllte er eins seiner Säckchen mit dem roten Mineral. Keiner sollte ihm auf die Schliche kommen.
Dann holte er das Heft hervor. Er schaute sich um. War wirklich niemand in der Nähe? Ihm schlug das Herz. Er war aufgeregt wie noch nie und er hatte Angst. Wenn man ihn mit diesem Heft erwischte, würde er vorm Lehmgericht landen.
Er war allein. Nur ein paar Vögel sangen in den Zweigen des Gebüschs. Themas setzte sich. Er schlug das Heft auf. Mit Bleistift von Hand geschrieben stand da: „Lieber Leser, schlage dieses Heft nicht gleich wieder zu und lauf damit nicht zum nächstbesten Priester! Bitte tue es nicht! Stattdessen lies es und du wirst verstehen! Dieses Heft will dir helfen, das Lehm zu verstehen und, so du willst, dir zur Flucht verhelfen. Denn das Lehm ist nicht gut und es schützt uns Menschen nicht! Das Lehm ist von bösartigem Leben erfüllt und es hält uns gefangen! Es liebt die Macht, die es über uns hat und es verlangt Menschenopfer! Wie kann etwas gut sein, das unsere Kinder von uns verlangt?!
Das Lehm ist böse!
Deshalb wurde dieses Heft geschrieben. Um Menschen zu helfen, aus dem Lehm zu entkommen. Es wurde von Menschen geschrieben, denen die Flucht gelang und die ihr Wissen an diejenigen weitergeben wollen, die ebenfalls fliehen wollen.
Bitte lies dieses Heft und wenn du damit fertig bist, verstecke es irgendwo, wo andere Menschen es finden können; Menschen, von denen du annimmst, dass sie ebenfalls willig sind, die Flucht aus dem Lehm anzutreten. Eine Flucht ist möglich und sie kann gelingen, glaube mir!
Lies nun bitte alles, was niedergeschrieben steht, über das Lehm!“
Themas blickte auf. Wer immer das geschrieben hatte, ging gleich in die Vollen. Der hielt sich nicht mit Geplänkel auf. Der kam gleich auf den Punkt.
Gleich hier auf der ersten Seite musste sich entscheiden, ob der Finder des Heftes damit laut schreiend zum Lehmpriester rannte, um die „Ketzerei“ zu melden oder ob er still bleiben und weiterlesen würde.
Ich werde lesen, dachte Themas. Und ob!
Er blätterte um. Auch die folgenden Seite war mit Handschrift bedeckt. Themas blätterte das Heft durch. Es war komplett von Hand geschrieben. Es gab sogar Zeichnungen. Er blätterte wieder zum Anfang zurück und begann zu lesen.
„Zur allgemeinen Information folgt nun ein Auszug aus den Schulbüchern des Königreich Bayern, in dessen Staatsgebiet das Lehm liegt. Dies hier steht in jenen Büchern gedruckt:
Das Lehm liegt inmitten weit ausgedehnter Urwälder in der Ostmark östlich des Harzes, wo die Wälder so dicht sind, dass man sie kaum durchqueren kann. Vor der industriellen Revolution lebten nur wenige Menschen in diesen Wäldern. Es waren Holzfäller und Köhler und es gab einige Siedlungen auf gerodetem Land. Mit dem Aufkommen der Eisenbahn begann man, Schneisen in die Wälder zu treiben und das riesige Holzvorkommen zu nutzen. Es entstanden weitere Siedlungen und kleine Städte; vor allem an den Flüssen.
Vom Lehm wusste man nur aus den wunderlich klingenden Berichten der Waldläufer und Köhler. Pelzjäger, die die Ostwälder durchstreiften, erzählten von Menschen, die in einem riesigen roten Sumpfgebiet lebten und dass man diesen Sumpf nicht betreten könne, da er einen jeden verschlinge.
Erst die Expedition von Professor Eisenstein im Jahre 1883 lehrte uns mehr über dieses ungewöhnliche Gebiet inmitten der Ostwälder. Damals umrundete die Expedition das gesamte Lehm und vermaß seinen Umfang.
Das Lehm ist eine annähernd kreisrunde, leicht zur Mitte abfallende Senke aus rotem Sand und Lehm mit ausgedehnten Lehmsümpfen. Am Rand gibt es keine Bäume, doch hat man mittels starker Fernrohre im Inneren kleinere Baumhaine entdecken können. Ansonsten besteht die Vegetation aus Schilf und Sumpfgräsern und niedrigem Buschwerk. Große Flächen liegen fast kahl, nur von kleinen Polsterpflanzen und Gräsern bewachsen.
Der Legende nach hat ein „Stürzender Himmelsbote“ das Lehm geformt. Möglicherweise handelte es sich um einen Meteoriten oder einen kleinen Kometen. Er muss kleiner gewesen sein als der Komet, der im Jahre 1568 in Lothringen einschlug und das große Erdbeben hervorrief.
Die Legende berichtet davon, dass der Himmelsbote die Erde aufriss und die Wälder niederlegte und alles im großen Umkreis verbrannte. Zurück blieb die runde Senke, die zum Lehm wurde.
Was immer vom Himmel gefallen war, es brachte ein reiches Mineralvorkommen zustande. Die Wälder rund ums Lehm geben das beste und härteste Holz der Welt ab. Es wird zum Bau von Schiffen und zum Hausbau verwendet.
Das Lehm hat einen Durchmesser von annähernd fünfzig Kilometern. Das Gebiet mit dem mineralisierten Boden misst an die neunzig Kilometer im Durchmesser. Es umgibt das Lehm in einem vierzig Kilometer breitem Gürtel.
Eine genaue Kartographierung des Lehms ist nicht möglich, da es Menschen verwehrt ist, das Gebiet zu betreten. Der trügerische Sumpfboden verschlingt alle, die versuchen, in das Gebiet vorzudringen. Dem Boden in diesem Gebiet ist nicht zu trauen. Wo eben noch fester, trockener Sandboden zu sein schien, kann dieser Boden sich binnen Sekunden in weichen, sumpfigen Lehmmorast verwandeln, in dem Mann und Maus versinken.
Es wurde auch beobachtet, dass Tiere dem Boden zum Opfer fallen, sowohl große Geschöpfe wie Bären und Hirsche als auch kleinere wie Kaninchen.
Der Wissenschaft zufolge handelt es sich beim Lehm wahrscheinlich um einen riesigen Superorganismus. Sein Same kam mit dem Meteoriten zur Erde und nun liegt dort in den Ostwäldern eine Art Riesenamöbe im Walde, die aus Myriaden sandkorngroßer Miniaturorganismen aufgebaut ist, erfüllt von teuflischem Leben.
Sämtliche Bäche fließen sanft mäandernd zum Zentrum des Lehmlandes. Dort im Inneren gibt es einen zentralen, flachen See. Von dort aus pumpen unterirdische Wasseradern das Wasser wie bei einem Blutkreislauf wieder zum Rande des Lehms und zu anderen Stellen, wo es in Form kleiner Quellen wieder ans Tageslicht tritt.
Es leben Menschen im Lehm. Seltsamerweise versinken diese nicht im roten Sumpfe, im Gegenteil. Sie haben in jenem Gebiet ihre Siedlungen errichtet und leben anscheinend von Gartenwirtschaft und Viehzucht.
Gelegentlich kommen Menschen aus dem Lehm zu uns und verbleiben hier. Es sind Flüchtlinge, die ihre strenge Glaubensgemeinschaft verlassen haben und nie mehr zurück können. Sie fürchten das Lehm. Anscheinend haben sie Angst vor der Vergeltung der Sekte, denn sie nähern sich dem Lehm nie mehr.
Sie reden nicht viel über ihr Leben im Sumpfland; so ist wenig bekannt über die Menschen im Lehm. Diese leben von Gartenbau, Fischfang und Tierzucht. Sie halten Schafe und Kamele, die eine ganz vorzügliche Wolle abgeben. Alles im Lehm wird aus Bronze gefertigt. Die dazu nötigen Metalle gräbt man im Innersten des Gebietes aus.
Eisen gibt es dort fast keines. Es wird von außen eingeführt und scheint lediglich zu rituellen Zwecken genutzt zu werden.
Die Menschen im Lehm treiben Handel mit unserer Zivilisation. Regelmäßig liefern kleine Karawanen in unseren Siedlungen nahe des Gebietes Dinge, die im Lehm hergestellt werden. Die kleine isolierte Glaubensgemeinschaft hat restriktive Regeln. Wenn sie das Lehm verlassen, bleiben sie unter sich und sie reden so wenig wie möglich mit unsereinem. Niemals erzählen sie von ihrem Leben im Lehm und sie nehmen unter keinen Umständen einen Außenstehenden mit in das Gebiet hinein. Sie nähern sich uns nur des Handels wegen.
Das Lehm gibt den Werkstoff für besonders leichte und haltbare Ziegel ab, sowie einen ganz hervorragenden Rötel. Des weiteren ist die Wolle der Schafe und Kamele von ausgesuchter Qualität. Sie ist sehr leicht und ergibt ein wasserfestes Gewand, so man sie ordentlich filzt.
Weiters handelt das seltsame Volk des Lehms mit seinen Bronze- und Kupfersachen. Laternen aus Bronze, Bestecke, Werkzeuge und ähnliches sind im Deutschen Lande sehr beliebt.
Sie selbst nehmen von uns gerne Waren des täglichen Gebrauchs in Zahlung. Alsda wären Stoffe, Seife, Schuhwerk, Fensterglas aber auch Getreide und Bau- und Brennholz. Jedoch lehnen die Menschen im Lehm alles Moderne strikt ab. Sie nehmen keine Nähmaschinen oder Fahrräder; erst recht keine Dampfmaschinen in ihr Gebiet mit hinein.
Der Handel findet ausschließlich in der kleinen Stadt Landsweiler am Rande des Lehms statt. Dort sammelt man das in den Wäldern um das Lehm geschlagene Holz, welches von ganz und gar außergewöhnlicher Qualität ist. Es ist härter und haltbarer als alles, das man auf Erden kennt und darob äußerst beliebt bei Schiffsbauern und als Bauholz. In einem Streifen von gut und gerne vierzig Kilometern rund ums Lehm wächst das spezielle Holz. Die Wissenschaft gibt als Erklärung an, dass der Boden durch den Einschlag des Himmelsboten auf spezielle Weise mineralisiert wurde, was das Holz der Bäume besonders haltbar macht.
Eine kreisförmig angelegte Bahnstrecke verläuft außen um das Lehmland herum; mit Abzweigungen in die Wälder ringsum. Das gesamte Holz wird in Landsweiler gesammelt und über eine zweigleisige Bahnstrecke ausgeführt. Diese Bahnen sind schmalspurige Feldbahnen mit der Spurweite 600mm. Erst draußen vor den Urwäldern trifft die Schmalspur auf die Regelspur und die Hölzer werden umgeladen und ins gesamte Reich abtransportiert.
Es gab einige Überfahrten mit Luftschiffen über das Lehm. Jedoch ist wenig zu erkennen, da über dem Gebiet eine ständige Lufttrübung liegt, ähnlich einem leichten Nebel. Man konnte den zentralen See erkennen und die kleinen Siedlungen im Lehm, aber Einzelheiten waren nicht auszumachen.
Seit dem großen Dammunglück im Jahre 1906 hat niemand mehr versucht, das Lehm von außerhalb zu betreten. Damals versuchte man, einen aufgeschütteten Damm in das Gebiet voran zu treiben, auf dem die Eisenbahn fahren sollte. Die Lehmleute warnten davor. Das Lehm würde solches nicht dulden. Tatsächlich gelang es, den Damm über dreihundert Meter weit in das Sumpfgebiet hinein zu bauen, aber dann wurde das Bauwerk vom Boden verschlungen und zwar, als man anfangen wollte, Schienen auf dem Damme zu verlegen. Viele Arbeiter, die sich zum Zeitpunkt des Ereignisses auf dem Damm aufhielten, versanken im roten Morast.
Zeugen berichteten, dass die Männer unter Qualen starben. Das Lehm zog sie in die Tiefe und erstickte sie. Bevor die Erde sie verschlang, wurden sie grausam gequält. Immer wieder schob sich der Morast wie etwas Lebendiges an den armen Menschen hoch und drang in Nase und Mund, nur um sich alsbald wieder zurückzuziehen und dann, nachdem die Unglücklichen einige Atemzüge getan hatten, wiederzukehren.
Einige Arbeiter jedoch entkamen dem abscheulichen Sumpf. Sie konnten den Boden überqueren und sogar ihre Werkzeuge mitbringen, ihre Spaten und Hacken.
Das teuflische Sumpfland scheint sich von Fleisch und Angst zu nähren. Man beobachtete auch, wie große Tiere von dem eklen Schlamm auf gleiche Weise gepeinigt wurden, ehe sie von der Erde verschlungen wurden und nicht wieder auftauchten.
Warum den Bewohnern des Lehm solches nicht widerfährt, weiß niemand. Die Flüchtlinge schweigen sich darüber aus.
So kommt es, dass wir inmitten unserer weiten Wälder in der Ostmark ein Stück Land haben, das uns fremd und äußerst feindselig gegenübersteht und das ein Mensch mit Herz und Verstand zu meiden sucht. Das Lehm existiert. Man kann nichts dagegen tun. Man meidet es, weil es gefährlich ist.“
Themas hob den Kopf. „Das ist nichts Neues“, murmelte er. „Was da geschrieben steht, weiß doch jeder!“ Er erschrak vom Klang seiner eigenen Stimme und schlug eine Hand vor den Mund. Er war erstaunt, weil er normalerweise nicht laut mit sich selbst sprach.
Gewöhne dir das ganz schnell wieder ab, Themas Irrlucht!, dachte er, sonst verplapperst du dich noch ungewollt! Klappe halten und lesen!
„Määäh!“, machte es neben ihm.
Themas machte vor Schreck einen Satz. Keine zwei Meter von ihm entfernt stand ein Schaf draußen vor dem Gebüsch.
Mist! Schäfer! Was soll ich machen?
Themas geriet in Panik. Er blickte sich um. Hatte ihn jemand beim Lesen beobachtet? Er sah niemanden. Dann hörte er Stimmen. „Es muss hier irgendwo sein! Da ist die Fährte!“ Das war Kethrin, die vierzehnjährige Tochter von Mork und Preta Ärlemon, dem Schäfer-Ehepaar.
„Ich geh da nicht hin! Sieh doch den Boden an! Da kann man versinken!“ Das war die elfjährige Teele, Kethrins Schwester.
Themas steckte das Heft ein. Er packte seine Rötelsäckchen und die kleine Schippe und arbeitete sich aus dem Knorrengebüsch heraus. Vorsichtig näherte er sich dem Schaf. Es stand direkt beim Gebüsch und schaute ihn an. „Määäh!“
„Hast du dich verrirrt, Schäfchen?“, sprach er mit sanft lockender Stimme. „Komm zu mir, Liebes. Ich bringe dich zur Herde zurück.“ Vorsichtig ging er auf das Tier zu.
Zwei Kinder kamen von links um das Gebüsch herum.
„Da ist Themas“, rief Teele. „Guck doch, Kethrin!“
„Dann wirst du nicht versinken“, sagte ihre ältere Schwester. Sie lächelte Themas entgegen: „Der Boden ist sicher, nicht wahr?“
Themas nickte. Er hielt sein gefülltes Stoffsäckchen hoch: „So sicher wie die Dammstraße. Ich habe Rötel gesucht.“ Er war froh, dass seine Stimme normal klang. Sein Herzschlag beruhigte sich. Man hatte ihn nicht beim Lesen des Heftes erwischt.
Teele zeigte auf das Schaf: „Das Schaf hat sich von der Herde getrennt und sich verirrt. Manchmal sind sie so richtig dumm! Selbst ein Schaf weiß, dass es bei seiner Herde bleiben muss!“
„Du hast Recht“, sagte Themas. „Wie gut, dass du es gefunden hast, bevor etwas Schlimmes passierte.“
Er half Kethrin und Teele, das verirrte Schaf zur Herde zurück zu bringen. Das Tier folgte ihnen willig.
Themas war sauer. Mit dem Lesen war es erst mal vorbei. Er konnte sich nicht absetzen. Das hätte auffällig gewirkt. Er musste mit zur Herde, ob er wollte oder nicht. Während sie über die sandige Ebene schritten und kleine, flache Bachläufe überquerten, überlegte er, wie er am schnellsten verschwinden konnte. Er wollte unbedingt weiterlesen.
Aber bei der Herde waren nicht zur die Ärlemons sondern auch Trischa Banbirk und es wurde nichts mit Lesen. Trischa fiel gleich über ihn her und bedankte sich für die Bonbons, die er ihr aus Landsweiler mitgebracht hatte.
„Die schmecken ja sooo gut!“, rief sie und umarmte ihn, was Themas gut gefiel, so gut, dass er sogar das Heft in seiner Kleidung für eine Weile vergaß. Trischa zeigte auf seinen Rötelbeutel: „Musst du gleich nach Hause? Oder bleibst du ein bisschen bei mir? Ich helfe den Schäfern. Das Gelände hat sich verändert. Man muss gut aufpassen, wohin die Tiere laufen.“ Sie zeigte auf das Schaf, das Themas, Kethrin und Teele mitgebracht hatten: „Das ist schon das zweite, dass sich heute verlaufen hat. Sie kennen sich nicht mehr aus. Man muss gut auf sie achtgeben.“
Themas band sein Rötelsäckchen am Gürtel fest. Ins zweite steckte er die kleine Schaufel und er band es daneben fest. „Ist recht“, sagte er, wobei er sich Mühe gab, ganz gelassen zu klingen, obwohl ihm Trischas Aufmerksamkeit das Blut in den Ohren rauschen ließ. „Ich helfe euch.“
Die nächsten Stunden verbrachte er bei den Schäfern und half ihnen, die Herde zusammen zu halten. Trischa war stets an seiner Seite. Das tröstete ihn darüber hinweg, dass er das Heft nicht lesen konnte.
Morgen geh ich gleich wieder ins Lehm hinaus und dann lese ich es zu Ende, nahm er sich vor.
Als sie mit der Herde nahe bei Lehmborn waren, wartete Themas einen Moment ab, in dem er mit Trischa allein war.
„Du, Trischa“, begann er.
Sie schaute ihn an: „Ja, Themas?“ Sie sah angespannt aus. Hatte sie seiner Stimme angehört, dass er über etwas reden wollte, das man nicht laut aussprechen durfte? Themas war unsicher. Sollte er es sagen? Oder doch besser schweigen?
„Trischa, ich möchte dich etwas fragen.“ Er senkte die Stimme, obwohl die Ärlemons mindestens dreißig Meter weit entfernt waren. „Wenn es eine Möglichkeit gäbe, zusammen mit deiner Zwillingsschwester aus dem Lehm zu fliehen, würdest du sie nutzen?“
Trischa riss die Augen auf: „Themas!“ Ihre Stimme war ein heiseres Wispern. „Was sagst du da?“ Sie sah sich um. Er erkannte die Angst in ihrem Gesicht. Er wartete still ab. Trischa rang mit sich.
„Weißt du, wie es geht?“, fragte sie schließlich.
„Ich glaube, ich werde es bald wissen“, gab er zur Antwort. „Sag, würdest du fortgehen?“
Trischa schluckte heftig. Rote Flecken bildeten sich auf ihren Wangen. Sie sah ihn an. Sie wirkte beinahe verzweifelt. „Themas, warum fragst du mich so etwas?“
Er fasste sie bei den Schultern und sah ihr tief in die Augen: „Würdest du?“
Sie schaute ihn lange wortlos an. Wieder fiel ihm auf, wie schön ihre honigfarbenen Augen waren. „Ich glaube, ja“, wisperte sie.
„Gut“, sagte er. „Genau das wollte ich wissen, Trischa.“
„Themas, du machst mir Angst!“
Er nahm sie in die Arme: „Das wollte ich nicht. Bitte fürchte dich nicht, Trischa.“

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