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Geschrieben von Stefan Steinmetz am 24.10.2024 um 05:25:

Wenn der Rote Hahn kräht(24)

„Übermorgen, sagst du?“
Der Angesprochene nickte: „Übermorgen. Ich habe es deutlich gehört. Er hat seinen Wagen in die Werkstatt gebracht, weil der Motor Probleme macht. Er ist mit dem Taxi zurückgekommen. Das Auto wird morgen repariert. Er kann es nachmittags abholen. Das hat er zu Rebekka gesagt, als aus dem Taxi ausstieg.“
„Dann hat er morgen das Auto wieder. Was ist mit dem Wagen von Rebekka?“
„Der steht bei ihr zu Hause.“
„Die beiden sind im Herrenhaus?“
„Ja.“
„Und … das Mädchen?“
„Ich habe niemanden außer Pascal und Rebecca gesehen.“ Harald Köhler schüttelte den Kopf. „Wenn ich die Reaktion von Pascal nicht mit eigenen Augen gesehen hätte, ich würde fast behaupten, die Kleine von Friedmans hat eine ausgedachte Geschichte erzählt. Aber Pascal hat das Opfer wirklich aus dem versiegelten Verlies freigelassen. Das ist Frevel!“
„Ganz recht“, sagte Adam Stolz. Er blickte in die Runde: „Wir müssen damit rechnen, dass Pascal und Rebekka fliehen. Das dürfen wir nicht zulassen. Ihr wisst warum! Wir warten nicht. Wir gehen heute Abend noch hin. Pascal muss sich entscheiden. Entweder er steht auf unserer Seite oder …“ Er holte tief Luft. „Das Opfer muss zurück in das Verlies. Sie gehört dem Fürsten der Dunkelheit. Sie ist sein Eigentum. Wir bringen Sie zurück.“
„Und was ist, wenn Pascal dabei nicht mitmacht?“, fragte Simon Dahl. „Was, wenn er und Rebekka sich sträuben?“
„Die kalte Flamme muss brennen“, sagte Adam Stolz. „Brennen auf immer, oder bis sie ausgelöscht wird.“ Er machte eine Pause. „Von heißen Flammen“, sprach er grimmig. „Wenn Pascal uns keine andere Wahl lässt, müssen wir zum Äußersten greifen. Ihr wisst, was in solch einem Fall zu tun ist.“
Die Männer nickten. Sie wussten, wie mit Abtrünnigen zu verfahren war.
„Geht!“, sagte Adam. „Ruft alle eingeweihten Mitglieder der Familie zusammen. Wir werden heute Abend eine Entscheidung von Pascal Hennes verlangen.“
*
Draußen wurde es dunkel.
„Gut so“, sagte Pascal. „Lass uns noch eine Stunde warten, bis es wirklich Nacht ist. Dann verduften wir. Ich will schleunigst hier weg. Den Typen von den fünf Familien traue ich nicht über den Weg.“
Rebekka, die am Fenster zur Straße entstand, stieß einen Schrei aus: „Da sind sie! Sie sind da! Alle!“ Pascal trat neben sie und schaute zum Fenster hinaus. Draußen auf der Straße näherte sich eine Menschenmenge. Das halbe Dorf schien angetreten zu sein. „Verdammt! Das sieht übel aus.“
Vorm Herrenhaus blieb die Meute stehen. Adam Stolz trat vor die Leute. „Pascal!“, rief er.
Pascal ging zu Haustür öffnete sie. „Was wollt ihr?“, fragte er.
„Wir wollen das Mädchen!“, rief Adam. „Gib sie heraus! Sie gehört dem Fürsten der Dunkelheit, der seiner Hand schützend über Silberberg hält. Er muss sie zurückbekommen. So will es das Gesetz.“
„Was für ein Gesetz?“, fragte Pascal. „Das Gesetz des Teufels? Ein Gesetz Gottes ist es jedenfalls nicht.“
Adam trat einen Schritt nach vorne. „Hör zu, Pascal“, begann er. „Ich kann verstehen, dass du Probleme damit hast. Dir kommt es vielleicht nicht richtig vor. Ich verstehe das. Aber es gibt nun einmal Gesetze und an diese Gesetze müssen wir uns halten, auch du. Du bist ein Bürger von Silberberg. Du bist einer von uns. Du stammst aus einer der fünf Familien. Du hast keine Wahl. Du musst die Gesetze von Silberberg befolgen. So war es immer. So wird es immer sein. Gib das Mädchen heraus. Gib sie uns und alles ist gut. Dann vergessen wir die Angelegenheit. Du hast nichts zu befürchten. Wir alle verstehen, dass du erschrocken bist. Niemand nimmt dir das übel, mein Junge. Doch dir bleibt nichts anderes übrig, als dich an die Gesetze von Silberberg zu halten. Mit dem Antritt deines Erbes hast du das akzeptiert.“
„Ich kann mich nicht erinnern, so etwas unterschrieben zu haben“, sagte Pascal. Er sah, wie Leute rechts und links am Haus vorbei nach hinten liefen. Das sah nicht gut aus, überhaupt nicht gut. „Ich habe lediglich zugesagt, meinen Erstwohnsitz in Silberberg anzumelden und das habe ich getan.“
„Damit hast du inoffiziell unsere familieninternen Gesetze akzeptiert“, sagte Adam. Er gab sich jovial. „Bitte, Pascal, Widerstand ist zwecklos. Mach einfach mit. Wir bekommen das Mädchen so oder so. Du musst sie herausgeben, dir bleibt keine Wahl. Der Fürst der Dunkelheit will sie zurück. Wenn er zum Jahreswechsel wiederkehrt und sein Opfer nicht vorfindet, wird er sehr ungehalten sein. Dann droht uns allen große Gefahr, auch dir und Rebekka. Komm schon, Pascal. Das Mädchen kann nicht bei dir bleiben. Sie ist kein Mensch mehr. Sie ist eine Untote und von ihr geht Gefahr aus. Gib sie uns und wir vergessen die Angelegenheit. Mein Wort darauf. Du hast nichts zu befürchten.“
Pascal schwieg. Er überlegte, die Polizei anzurufen, aber irgendetwas in seinem Inneren sagte ihm, dass keine Polizei in Silberberg auftauchen würde. Die fünf Familien hatten große Macht im Dorf.
„Komm schon, Junge“, lockte Adam. „Gib das Mädchen heraus und alles wird gut.“ Er trat noch einen Schritt auf Pascal zu: „Du brauchst sie uns nicht selbst auszuliefern. Lass uns einfach herein und wir holen sie. Dadurch hast du nichts mit der Sache zu tun, okay? Wir kommen jetzt rein.“
Die Ältesten der fünf Familien setzten sich in Bewegung.
„Er friert die Hölle zu!“, rief Pascal und schlug ihnen die Tür vor der Nase zu.
Adam Stolz hämmerte gegen die Haustür: „Pascal, mach keinen Unsinn! Geh in dich! Wir holen Sie uns! Du kannst nichts dagegen tun. Es gibt auch noch einen anderen Weg, an das Mädchen heranzukommen und sie dem Fürsten zurückzugeben. Mach die Tür auf, Pascal!“
„Leck mich, Adam!“, schrie Pascal. „Du kommst mir nicht ins Haus!“
Draußen ertönt ein vielstimmiger Aufschrei.
„Wie du willst!“, brüllte Adam Stolz. „Dann gehen wir den anderen Weg. Los, Leute!“ Der vielstimmige Schrei wiederholte sich. Plötzlich barst eine Fensterscheibe, als etwas hereingeworfen wurde. Es war eine Glasflasche. Sie schlug auf dem Boden auf und zerbrach. Benzin spritze nach allen Seiten. Augenblicklich begann es zu brennen.
Rebekka schrie auf.
„Die sind ja irre!“, rief Pascal. „Das ist ein Brandbeschleuniger!“ Weitere Scheiben zerbarsten, als noch mehr Molotowcocktails geworfen wurden. Es mussten zwanzig oder dreißig von den Dingern sein. Schon stand der Raum in Flammen. Das Feuer breitete sich rasend schnell aus.
„Die bringen uns um!“, schrie Rebekka. „Um Himmels willen, die bringen uns um!“
Draußen brüllte eine Stimme auf, ein Kreischen voller Hass: „Wir können das Opfer auch mit der heißen Flamme an den großen Fürsten übergeben, wenn die kalte Flamme versagt. Ihr werdet brennen! Ich habe euch gewarnt! Brennen sollt ihr!“
Pascal packte Rebekka am Handgelenk. „Zurück!“, schrie er. „Nach hinten! Schnell!“
Da klirrten auch auf der Rückseite des Hauses Fensterscheiben.
„Wir sind eingeschlossen!“, rief Rebekka panisch. Sie war kreideweiß vor Angst.
Auch Pascal war einer Panik nahe. „In den Keller!“, befahl er. „Wir müssen den Gang benutzen.“
Sie rannten zur Kellertreppe und rissen die Tür auf. Von den hinteren Zimmern fraß sich eine Flammenwand auf sie zu. Das uralte Haus war völlig ausgetrocknet. Die Holzböden und das Fachwerk brannten wie Zunder.
„Runter!“ Pascal ließ Rebekka vorgehen. Dann folgte er ihr und schloss die Kellertür hinter sich. Qualm wälzte sich die Treppe hinab. Sie rannten zu der Ecke, wo der Schrank den Eingang in den unterirdischen Stollen versperrte. Pascal sperrte den Schrank hastig auf. Sie traten ein und er schloss die Schranktür hinter ihnen und legte den Riegel vor. Er fischte zwei Stirnlampen aus dem Regal im Schrank und reichte Rebekka eine: „Wir brauchen Licht.“
Rebekka stand wie erstarrt. Ihre Augen waren weit aufgerissen.
Pascal zögerte. „Was ist mit dir?“
„Hörst du es?“ Über ihnen erwachte ein Brüllen, ein Brüllen wie von einem wütenden Tier. „Das ist das Feuer! Das Feuer frisst das Haus auf!“
„Dann nichts wie weg, bevor es über unseren Köpfen zusammenkracht“, rief Pascal. Er zog die Stirnlampe an und schaltete sie ein. „Nichts wie weg.“
Sie stolperten durch den engen Stollen. Hinter ihnen brüllte das Höllenfeuer, das über das alte Herrenhaus hergefallen war. Sie kamen an dem aufgebrochenen Alkoven vorbei, in dem Magdalena eingesperrt gewesen war.
„Das Buch!“, schrie Rebekka. „Das Vermächtnis meiner Urgroßmutter! Wir müssen es mitnehmen! Vielleicht finden wir einen Weg, der Herrschaft des Bösen in Silberberg ein Ende zu bereiten.“ Sie zerrte an dem losen Ziegel.
Da ertönte hinter ihnen ein ungeheures Getöse. „Jesus!“, schrie Pascal. „Das Haus stürzt ein! Lass das Zeug, wo es ist! Wir müssen auf der Stelle hier raus, sonst überleben wir das nicht!“ Wie zur Bestätigung begann die Decke des Ganges zu ächzen. Pascal sah nach hinten, wo sie in den Gang hineingestiegen waren. Dort kam die Decke krachend herunter. Der ganze Gang brach ein.
In Panik stürzten sie los. Eine Minute später kamen sie unter Albas Haus aus dem Gang. Hinter ihnen krachte und donnerte es.
„Das ist die perfekte Gelegenheit, um zu türmen“, rief Pascal. „In dem Durcheinander sehen die Dreckschweine uns nicht. Wir müssen weg!“
Sie rannten die Treppe hinauf. Durch die Fenster des Hauses sahen sie eine gespenstische Szene. Gut hundert Leute standen drüben auf der anderen Straßenseite in sechzig Metern Entfernung beisammen und schauten gebannt ins Feuer. Das alte Herrenhaus brannte lichterloh. Kein Mensch schaute zu Albas Hof herüber.
„Wir gehen hinten raus und schleichen durch die Gärten zum Wald“, sagte Pascal. „Im Augenblick schaut keiner hierher. Das ist unsere Chance, die einzige, die wir bekommen.“ Sie verließen das Haus durch die Hintertür und machen sich davon. Tief geduckt huschten sie durch den Garten und dann durch Nebensträßchen aus dem Dorf hinaus. Erst als sie den Wald erreichten, hörten sie auf zu rennen.
Pascal führte Rebekka zu dem Wanderparkplatz, wo er seinen Wagen am Tag zuvor abgestellt hatte. „Sag mal“, fragte er unterwegs, „Hast du irgendwelche Feuerwehrsirenen gehört? Ich jedenfalls nicht.“
Rebekka hielt sich an seinem Arm fest. „Machst du Witze?!? Es kommt keine Feuerwehr! Die haben da angerufen und gesagt, es sei ein Scheunenbrand und sie hätten alles unter Kontrolle. Etwas in der Art. Glaub mir, die fünf Familien haben genug Macht dazu. Denen fährt keiner an die Karre. Auf die Polizei brauchst du genauso wenig zu hoffen.“ Sie klammerte sich noch fester an Pascals Arm. „Die haben versucht, uns umzubringen. Wahrscheinlich glauben Sie, dass wir tot unter den Trümmern des Hauses legen. Der alte Kasten hat wie Zunder gebrannt. Der bleibt nicht stehen. Da kracht alles zusammen.“
Pascal fuhr los. „Wir stellen den Wagen weit weg von hier ab, damit die Silberberger Mörderclique ihn nicht aufspürt“, sagte er. „Oder sollen wir ihn gleich mit nach England nehmen?“
„In England findet ihn jedenfalls keiner, der die Familien kennt“, meinte Rebekka.
Pascal nickte. „Also abgemacht. Wir fahren nach Norden und dann nehmen wir einen Zug, der durch den Eurotunnel nach England fährt. Es gibt Züge, in denen man sein Auto mitnehmen kann. Bis dahin halten wir nur zum Tanken an. Ich will so schnell wie möglich raus aus Deutschland. Wer weiß, wo die Familien überall Kontakte haben.“
Sie fuhren durch die Nacht nach Norden.

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