Mars First - Mit dem One Way Ticket zum Mars(29) |
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Mars TV zeigte den Meteoriteneinschlag in Dauerschleife. Aktuelles kam nur in kurzen Szenen zwischendrin vor. Arne hatte keinen Bock mehr, sich das anzuschauen. Er hatte das Ganze schließlich mit eigenen Augen gesehen. Wirklich interessant waren lediglich die Aufnahmen der hochauflösenden Kameras der Satelliten im Orbit. Sie zeigten den Fluss aus Wasser und verdampfendem Eis aus dem Weltall. Der Fluss war inzwischen fünfzig Kilometer lang.
Wissenschaftler aus der ganzen Welt diskutierten im Fernsehen darüber, ob alle Flusstäler des Mars auf diese Weise entstanden waren. Die einen sagten, es sei so gewesen, die anderen behaupteten, es hätte auch ganz normale Flüsse gegeben, da einst sogar flache Ozeane die Marsoberfläche bedeckt hätten.
Arne hatte genug. Sollten sie streiten. Er ging ins Nachbarhabitat. Dort fand er Laura Sunderland, die mit Lindy-Flindys Hilfe die Wasserproben untersuchte. Bei seinem Eintreten blickte sie auf. Sie wirkte unendlich traurig.
„Laura?“ Er ging zu ihr. „Sag bloß, du hast nichts gefunden?“
Sie schüttelte den Kopf. „Nichts! Nicht mal Spuren von Leben. Erst recht keine Lebewesen. Keine Bakterien oder sonstwas.“ Sie klang enttäuscht. „Außer den bisher dicksten Einschaltquoten für Mars TV hat der Einschlag nichts gebracht.“ Sie schaute ihn an. Ihre Augen waren die eines verletzten Kindes.
„Vielleicht ...“ Arne suchte nach Worten. „Es könnte … wie soll ich sagen … der Einschlag hat alles Leben verdampfen lassen. Das könnte doch sein, Laura, oder? Lass uns morgen weiter raus fahren und dem Fluss folgen. Wie es aussieht, wird der noch ein paar Tage lang fließen. Es könnte doch sein, dass du etwas entdeckst.“ Er merkte, wie wenig aufmunternd er klang. „Es tut mir leid.“ Er nahm sie spontan in die Arme. Sie kuschelte sich eng an ihn und ließ die Umarmung zu.
Sie schaute ihm in die Augen: „Danke, Arne.“
Plötzlich fühlte er sich eigenartig. Es waren nicht die Augen eines verletzten Kindes, die ihn da anschauten. Es waren die Augen einer Frau.
Er machte sich von Laura los. „Wir schauen morgen nach. Versprochen. Wäre doch gelacht, wenn du nicht irgendwann etwas entdeckst.“
Ihr mutloses Schweigen verfolgte ihn, als er zu seinem eigenen Habitat zurück ging, wo Ethan und Antje vorm Bildschirm saßen.
„Laura hat keine Spuren von Leben gefunden“, erklärte er, als die beiden aufsahen. „Das ist echt Pech.“
*
Ethan McDuff erwachte mit einem Ruck. Der Traum! Der ekelhafte Albtraum! Als Siebenundzwanzigjähriger hatte er ihn zum ersten Mal gehabt. Es war der einzige Albtraum, den Ethan je im Leben gehabt hatte.
In jenem Traum war er mit seiner Segeljacht draußen auf dem Ozean gewesen und es war dunkel wie an einem Wintertag mit dichten, tiefhängenden Wolken. Seine Jacht sank. Sie sank quälend langsam in einem Meer, dessen Wasser dickflüssig und schmutzig grau aussah wie die Brühe, die aus der Waschmaschine abgepumpt wurde. Riesige Haie mit großen toten Glotzaugen schwammen um die Jacht herum. Ethan versuchte mit dem Funkgerät Hilfe herbei zu rufen, aber das Funkgerät funktionierte nicht. Er sah voller Entsetzen zu, wie das Wasser im Innern des Bootes stieg und stieg, während draußen die grauenhaften Haie immer dichter um die Jacht kreisten. Das Wasser war aus einem kleinen Riss im Bootsrumpf gequollen. Es kam nur wenig Wasser herein, aber es kam. Das Funkgerät, das nicht funktionierte, heulte. Es gab einen quäkig klingenden Heulton von sich, einen sinnlosen Alarm. Ethan war schweißgebadet aufgewacht.
Er hatte vorgehabt, segeln zu gehen. Stattdessen knöpfte er sich seine Jacht vor und untersuchte sie von oben bis unten. Er fand zwei Dinge heraus: Das Funkgerät funktionierte nicht richtig. Immer wieder fiel etwas aus, und das Gerät war für einige Sekunden tot. Und unten, wo der Mast verankert war, entdeckte Ethan einen feinen Riss im Rumpf. Es sah nicht schlimm aus und war leicht zu reparieren, aber wenn er mit dem Riss im Rumpf raus aufs Meer gefahren und in einen Sturm geraten wäre, hätte der Riss sich vergrößern können. Ein Leck hätte entstehen können.
Ethan brachte sein Boot in die Werft und ließ es an Land ziehen, um den Schaden zu beheben. Jim Forgenson der Werftinhaber meinte: „Halb so wild! Damit hättest du jederzeit segeln können.“
„Aber wenn ein Sturm aufgekommen wäre, hätte es übel für mich ausgesehen“, sagte Ethan.
Jim hatte gelacht. „Es ist aber kein Sturm gemeldet, Mann. Lass den Kahn hier. Ich mache mich gleich morgen an die Reparatur.“
Ethan war zu Fuß nach Hause gelaufen.
Nachmittags braute sich draußen vor der Küste ein Sturm zusammen, den die Wetterfrösche nicht vorausgesehen hatten. Ethan hatte am Radio gesessen und ein ums andere Mal gedacht: Wäre ich rausgesegelt, wäre es um mich geschehen! Dieser Albtraum war eine knallharte Warnung. Gut dass ich darauf hörte.
Siebenundzwanzig Jahre alt war er gewesen und er hatte auf die Warnung seines Unterbewusstseins gehört.
Später nicht mehr. In der Nacht, bevor Ethan die Rakete bestieg, die ihn zum Mars bringen sollte, hatte er den gleichen Albtraum erneut gehabt. Sein Boot sank, während draußen in einem dunklen Meer aus schmutziger Waschbrühe grauenhafte Haie kreisten und das Funkgerät kreischte und pfiff. Der heulende elektronische Warnton machte ihn verrückt.
Nach dem Aufwachen hatte Ethan allen Ernstes daran gedacht, Mars First sausen zu lassen, aber sein Stolz ließ es nicht zu. Er verdrängte das ungute Gefühl und stieg in die Rakete.
Dann der Schock, als die vorausgeschickte Kapsel in der Marsatmosphäre verglühte. Eisiger Schrecken war ihm in die Glieder gefahren. Von Stund an hatte Ethan sich nicht mehr sicher gefühlt. Eine kleine nagende Angst fraß sich in seiner Seele fest und ließ ihn nicht mehr los.
Und dann dieser ungeheuerliche Einschlag! Als der Meteor feuersprühend auf ihn heruntergebrüllt kam, war Ethan sicher, dass sein letztes Stündlein geschlagen hatte.
Die Kolonie war der völligen Auslöschung nur um wenige hundert Meter entgangen. Es war purer Zufall, dass sie noch lebten. Und sie hatten Glück gehabt, dass im Nordosten diese Hügel dafür sorgten, dass der gruselige Fluss voller Eisbrocken nicht auf die Kolonie zufloss. Stattdessen ergoss er sich nach Nordosten ins Flachland hinein.
Ethan hatte gerade wieder den gruseligen Albtraum gehabt. Der kreischende Alarmton des kaputten Funkgerätes saß ihm noch immer im Ohr. Er richtete sich im Bett auf.
„Mann!“, brummte er. „Mann!“ Das Funkgerät heulte noch immer. Es klang, als würde Luft aus einem kleinen Loch entweichen. Es pfiff und heulte.
Ethan zuckte zusammen. Das war kein Traum. Er hörte das Heulen ganz deutlich. Es pfiff und kreischte. Kalter Schrecken packte ihn.
Ein Leck! Das Habitat hat ein Leck und die Luft entweicht!
Da erst erfasste er die Situation. Das heulende Geräusch kam von weiter hinten. Es war nicht laut, aber es klang unangenehm. Es war dieser verdammte Atmosphärenaufbereiter. Seit drei Tagen heulte er so, wenn er anlief. Es quietschte und kreischte zwei oder drei Minuten lang, dann lief das Ding ganz normal weiter.
„Shit!“, fluchte Ethan. „Ich muss das Mistding morgen checken. Da stimmt was nicht!“ Er war wütend. Wieder mal funktionierte etwas nicht! Dauernd ging was kaputt oder streikte oder lief nicht korrekt.
Er fühlte sich beschissen. Er spürte, dass er allmählich zu einem Nervenbündel wurde. Er wollte weg vom Mars, einfach nur weg. Noch nie hatte er etwas dermaßen bereut wie seine Bewerbung bei Mars First.
Er hatte es allen zeigen wollen und nun hockte er hier auf diesem absolut lebensfeindlichen Planeten in einer Schrottkolonie, in der nichts gescheit funktionierte.
„Fuck!“, sagte Ethan. „Ich habe keine Lust mehr. Ich will nach Hause. Ich habe die Schnauze voll.“ Was sollte er in einer Anzahl von zusammengeschusterten Aufblas-Habitate, in denen ständig die lebenserhaltenden Geräte Zicken machte?
Zicken machte auch Laura. Sie hatte sich verändert. Er hatte das Gefühl, dass sie sich von ihm entfernte, dass er ihr nicht mehr gut genug war. Er konnte sich das nicht erklären. Sie hatten fantastischen Sex und sie hielten zusammen. Nachdem Maus und Arne ihre Nummer mit dem verpatzten Privatmodus abgezogen hatten – Ethan war sich absolut sicher, dass die kleine Holländerin mit voller Absicht dafür gesorgt hatte, dass die Kameras eingeschaltet blieben – hatte Ethan vorgeschlagen, das auch mal zu machen, doch Laura lehnte das kategorisch ab. Wenn er nachhakte wurde sie aggressiv. So kannte er sie nicht.
War es da ein Wunder, wenn es ihm nicht mehr auf dem Mars gefiel?
Ethan nahm sich vor, noch einmal mit Arne Heuermann über die Möglichkeit einer Rückkehrmission zu sprechen und auch auf der Erde nachzuhaken. Ein Rückflug wäre gute Werbung für Mars First. Wenn es eine Möglichkeit gab, vom Mars auf die Erde zurück zu fliegen, würde die NASA Interesse bekommen, ihre eigenen Wissenschaftler zur Kolonie zu senden. Dafür würden sie gutes Geld bezahlen.
Das würde er den Leuten von Ground Control stecken. Natürlich würde er nicht zugeben, dass er Muffensausen hatte. Er würde es so aussehen lassen, als ob er sich „opferte“. Das würde ihm Sympathien bei den Fans einbringen.
Ethan kroch wieder unter die Decke. Nach Hause fliegen, ja! Das war die beste Idee überhaupt.
Die Wissenschaftler der Erde würden Millionen zahlen, um Ethan untersuchen zu dürfen. Sie würden alles prüfen. Die Knochendichte, das Blut, Gelenke und Sehnen, das Herz und die Organe. Das würde nervig werden, aber er würde es durchstehen.
Wenn man ihm sagte, dass er nicht mehr zum Mars zurück konnte, würde er dies mit gekonnter Leichenbittermiene „akzeptieren“.
Wenn er zur Erde zurückkehrte, würde er sein früheres Leben wieder führen. Ach was, ein besseres! Er würde Vorträge halten, Dokumentarfilme drehen, Bücher schreiben. Er würde reich werden. Er würde keine Corvette fahren sondern einen Ferrari und nicht mehr mit einer kleinen Jacht segeln sondern mit etwas richtig Großem. Vor allem wäre e in Sicherheit.
Ganz recht, dachte er. Hier ist es nicht sicher. Ich will nach Hause und zwar so schnell es geht. Bei diesem Gedanken schlief er ein.
*
Der Rover kam zurück. Arne sah durch eine Luke in der Dragon Nr 4 zu, wie Ethan McDuff ihn zur Ladestation lenkte. Ethan und Laura waren im Nordosten gewesen, um Proben aus dem neuen Fluss zu nehmen. Eigentlich hatte Arne mit Laura fahren wollen, aber McDickmaul hatte sich dazwischen gedrängelt. Arne hatte bemerkt, dass es Laura nicht recht war. Sie wollte ihn dabei haben, nicht Ethan. Das gefiel Arne irgendwie.
Er sah zu, wie Ethan ausstieg und den Rover an der Ladestation anschloss. Würde er das auch mit seinem Marsanzug machen? Noch immer war der Amerikaner nachlässig, wenn es um die Nachladung seines Anzugs ging. Immer wieder vergaß er, das Ding an die Versorgung anzuschließen.
Aber sonst kontrolliert er seinen Anzug penibel, dachte Arne. Er untersucht ihn regelmäßig auf Beschädigungen, außen wie innen. Mir kommt es so vor, als machte er das mit dem „vergessen“ absichtlich. Blödian! Führt sich auf wie ein Grundschulbubi.
Arne seufzte. Er dachte in letzter Zeit oft daran, wie schön es hätte sein können, wenn Katsuro Yamamoto hier wäre. Mit dem Japaner als Kamerad hätte es so gut werden können. Ethan McDuff war ein Störfaktor. Arne gab sich Mühe, nicht mit dem Amerikaner aneinander zu geraten, aber McDickmaul schien es drauf anzulegen, ihn auf die Palme zu bringen.
Draußen stapften Laura und Ethan in ihren sperrigen Anzügen auf die Kolonie zu. Lindy-Flindy sauste vor ihnen her. Laura hatte darauf bestanden, sie mitzunehmen.
„Sie ist hoch beweglich und sie wiegt viel weniger als wir“, hatte sie Ethan erklärt, der nicht davon angetan schien, das Robotermädchen in den Rover zu lassen. „Sie kann näher an den Fluss heran. Wenn sie unsicheres Terrain betritt wird sie das spüren und sich zurückziehen. Sie kann Bodenproben entnehmen, wo wir beide nicht hingehen können. Das Ufer des Flusses ist gefährlich. Es gibt Unterspülungen. Wir können einbrechen und vom Untergrund verschlungen werden oder der Boden könnte mit uns ins Wasser rutschen. Lindy-Flindy kann das nicht passieren. Wir nehmen sie mit!“ Ethan hatte das akzeptiert, aber er hatte ein Gesicht gezogen.
Die Schleuse zischte. Die drei kamen von ihrer Expedition zurück. Ethan schleppte zwei Gefäße.
„Lass das hier stehen“, verlangte Laura. „Ich nehme es gleich mit ins Labor.“ Sie lief zur Andockstelle für die Marsanzüge und begann sich, aus ihrem Anzug zu schälen.
Ethan stellte die Probenbehälter ab. Er sang mit seiner volltönenden Stimme: „I was born under a wand´rin star.“ Plötzlich kam aus Lindy-Flindys Lautsprechern passende Backgroundmusik und Percussion.
Ethan wandte sich an das kleine Robotergirl: „Nanu! Du kannst Musik machen? Hast du einen kleinen Synthesizer eingebaut?“
„Lindy-Flindy hat Lautsprecher“, antwortete das Roboterchen. „Also kann Lindy-Flindy Musik machen. Mit ihrem Computer.“ Sie grinste ihn an.
Ethan ließ sich lachend auf die Knie nieder und piekte Lindy-Flindy mit dem Zeigefinger in den Bauch: „Du bist echt eine Nummer, Batterieprinzessin! Ich muss unbedingt an deinem Raupenakku arbeiten, damit du nicht immer an der Ladestation rumstehen musst, um ihn nachzuladen. Ich werde eine Halterung für einen Akku zum Wechseln konstruieren. Das ist nicht einfach. Der Akku darf nicht zu locker sitzen. Wenn du da draußen mit dreißig Sachen über ein Steinfeld saust, soll er ja an Ort und Stelle bleiben.
Ich bin noch am Überlegen, wie ich es machen werde, aber du bekommst deine Wechselbatterie. Versprochen.“
Lindy-Flindy lächelte ihn lieb an. Ethan lächelte zurück. Arne sah, dass der Amerikaner verkrampft wirkte.
Er hat Angst und er schafft es nur mit Mühe, es unter Kontrolle zu halten und sich nichts anmerken zu lassen, überlegte er. Ethan tat ihm leid.
Laura hatte ihren Anzug angehängt. Sie kam zu Arne: „Arne? Könntest du mit mir die Proben untersuchen? Kannst du mir dabei helfen? Ich brauche einen Chemiker, der die Bodenproben analysiert.“ Sie sah ihn auf eine Art und Weise an, dass es Arne ganz anders wurde. Er war baff. Laura Sunderland flirtete ihn an.
Sie braucht mich nicht. Sie kann ebenso gut Lindy-Flindy die Proben chemisch analysieren lassen. Die … Laura scharwenzelt vor mir rum!
Ihm fiel ein, dass Laura in letzter Zeit ein gesteigertes Interesse an ihm zeigte. Sie fragte ihn nach seinen Hobbys und den Sachen, die er auf der Erde gemacht hatte. Er musste zugeben, dass ihm das nicht unangenehm war.
Ethan drängte sich an ihm vorbei. Er stapfte zur Andockstelle und zog seinen Anzug aus. Dann ging er davon, ohne ein Wort zu sagen. Mit einem Seitenblick stellte Arne fest, dass er seinen Marsanzug nicht ans System angeschlossen hatte. Diesmal konnte er den Amerikaner verstehen. Er nahm sich vor, später vorbei zu schauen und es zu tun, ohne dass die neugierigen Kameras es filmten.
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