Mars First - Mit dem One Way Ticket zum Mars(30) |
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Arne und Antje saßen vorm Bildschirm. Lindy-Flindy hockte neben ihnen. Es gab die ersten Bilder der Ballonkamera zu sehen.
Den Ballon hatten sie vor einigen Tagen steigen lassen, als die Windrichtung günstig schien. Sie hatten ihn mit Wasserstoff gefüllt und ihn auf die Reise geschickt. Seither maß er die Temperatur, Windstärke und Zusammensetzung der Atmosphäre. Die hochauflösende Kamera, die an der Gondel hing, lieferte in regelmäßigen Abständen Bilder von der Marsoberfläche.
Das Ganze war ein Projekt im Auftrag der NASA. Dafür gab es gutes Geld für Mars First.
Die Stimme des Sprechers erklärte die Bilder auf dem Bildschirm: „Valles Marineris, das große Grabensystem längs des Marsäquators, gelegen östlich von der Tharsis-Region. Ja liebe Zuschauer, da staunen Sie! Was sie hier sehen, ist der Großvater des Grand Canyons. Das Grabenbruchsystem Valles Marineris hat eine Länge von viertausend Kilometern. Es ist bis zu siebenhundert Kilometer breit und erreicht eine Tiefe von sieben Kilometern.“
„Und die Fotos davon erreichen die Erde“, sagte Arne, „und die NASA zahlt dafür. Na also! So langsam nimmt man Mars First ernst.“ Er grinste Antje an: „Was haben sie zu Anfang über unseren Laden hergezogen!“
Antje lächelte ihn an: „Die Zeiten ändern sich. Wir werden ernst genommen. Wir werden nicht mehr belächelt.“
„Belächelt?“ Arne schnaufte. „Schlecht gemacht haben sie uns. Es ist gut, dass sich das geändert hat.“
Antje schaute zu Lindy-Flindy. Die hockte ganz still da und hielt das Köpfchen schief. Es sah aus, als lauschte sie angestrengt. „Lindy? Was ist?“, fragte Antje.
„Böse“, sagte das Robotermädchen. Es klang besorgt. „Streit! Nicht gut!“
„Was meinst du damit?“, fragte Antje alarmiert.
„Ethan, nein!“, sagte Lindy-Flindy.
Die Schleuse des Nachbarhabitats zischte. „Du Miststück!“, hörten sie Laura brüllen. „Du mieser Scheißtyp! Hau ab! Nimm deine dreckigen Hände von mir! Mit dir bin ich fertig!“
„Lauralieb!“, wimmerte Lindy-Flindy. Sie setzte sich in Bewegung. Arne und Antje standen auf, um ihr zu folgen.
Laura kam ins Habitat gestürzt. Ihre Kleidung sah aus, als hätte sie sich in höchster Eile etwas übergezogen: „Hallo Arne, hallo Maus. Könnt ihr mir helfen? Ich ziehe aus.“
„Was ist denn los, Laura?“, fragte Antje.
„Was los ist?“ Laura Sunderland war total aus dem Häuschen. „Dieser Mistkerl hat die Kameras heimlich eingeschaltet! Das ist los! Er hat eine Fernbedienung gebastelt, mit der er den Privatmodus vom Bett aus abschalten kann. Dieser Hohlkopf wollte seinen privat gedrehten Pornofilm zur Erde senden! Wahrscheinlich ist es ihm auch gelungen! Ich habe es erst nach mehreren Minuten gemerkt. Das ist los!“
Laura lief auf und ab. Sie kriegte sich nicht mehr ein. „Die ganze Zeit lag er mir damit in den Ohren. Er wollte die gleiche Nummer durchziehen wie ihr beide. Aber ich wollte das nicht. Er hat es nicht akzeptiert. Das ist los!“
Ethan McDuff erschien am Eingang des Habitats: „Laura ...“
„Verpiss dich!“, schrie Laura. „Komm mir nicht zu nahe, oder ich trete dir dermaßen zwischen die Beine, dass du fortan vier Mandeln hast! Du mieser Dreckskerl!“
Lauras Augen verschlossen Blitze: „Ich habe dir vertraut! Und was machst du? Du missbrauchst dieses Vertrauen! Nur um deine dämliche Angebernummer durchzuziehen! Du bist ein mieses, egoistisches Dreckstück, Ethan McDuff! Ich will nichts mehr mit dir zu tun haben!“
Lindy-Flindy stand vor Laura und schaute verunsichert zwischen ihr und Ethan hin und her. „Lauralieb?“, piepste sie.
Laura beugte sich zu ihr hinunter: „Es ist nichts, Kleines. Ich habe bloß Krach mit Mister McMistkerl. Ich ziehe aus dem Habitat aus.“ Sie wandte sich an Arne und Antje: „Helft ihr mir bitte? Ich werde meine Sachen ins Habitat 3 bringen. Hinten im Treibhaus richte ich mich ein. Platz ist genug, seit wir viele Pflanzen in die Kuppel gebracht haben. Ich brauche nicht viel Raum. Ich komme mit wenig aus. Hauptsache, ich bin weg von dem da!“ Sie schaute abfällig zu Ethan hin. Der stand da wie ein begossener Pudel.
„Laura, es tut mir leid“, begann er.
„Das sollte es auch, wenn du nur ein Minimum an Gewissen in dir hast“, blaffte Laura. „Aber, egal was du sagst, Ethan, es ist aus!“
Sie marschierte in das Habitat, dass sie bis eben mit Ethan McDuff geteilt hatte und fing an, ihre Siebensachen zusammen zu packen. Antje und Arne halfen ihr dabei. Lindy-Flindy schaute verunsichert zu. Schließlich akzeptierte sie die Situation und half ebenfalls, Lauras Besitz auszuräumen.
Ganz hinten im Habitat 3 räumten sie die Pflanzenzuchtregale fort. Sie brachten sie in die Ziegelsteinkuppel. Es dauerte keine Stunde und Laura hatte eine kleine private Ecke für sich geschaffen. Ein paar Kisten und Hängeschränkchen dienten ihr als Möbel. Als Bett hatte sie nur eine Klappliege, doch das war ihr egal.
„Jetzt meinen Rechner und einen gescheiten Bildschirm“, sagte sie. „Nur gut, dass diese Habitate alle gleicht aufgebaut sind. Ich habe überall Steckdosen und kann meinen Computer ans Netz anschließen.“ Sie schaute sich suchend um: „Ich brauche eine Ladestation für Lindy-Flindy!“
Ethan stand bedröppelt mitten im Habitat. „Ich baue das um, wenn du willst, Laura. Aber das geht nicht von heute auf morgen. Es ist eine komplexe Angelegenheit.“
„Mir egal“, sagte Laura. Ihre Augen verschossen Blitze, sobald sie in Ethans Richtung blickte. „Hauptsache, Lindy-Flindy bekommt ihre Ladestation! Sie wird bei mir wohnen und nachts auf mich aufpassen. Nur für den Fall der Fälle!“
„Mensch Laura, nun hör aber auf“, fing Ethan an.
„Halt die Klappe!“, rief Laura. „Du hast mir nichts zu sagen. Du bist für mich erledigt.“
„Ja dann“, sagte Ethan, „geh ich wohl besser.“ Er machte sich davon.
Gute Idee, McSchwachkopf, dachte Arne. Er schüttelte den Kopf. Was für ein Idiot! Aber so ist er. Muss immer seinen Dickkopf durchsetzen. Jetzt siehst, du wohin dich das gebracht hat, McBlödmann. Laura ist mit dir fertig da kannst du sagen und machen, was du willst. Das kriegst du nicht mehr hingebogen. Mann, wie kann man nur so dumm sein? Depp!
Er drehte sich zu Laura und Antje um. Laura ließ sich auf die Klappliege fallen. Sie saß da wie ein Häufchen Elend. Sie sah aus wie ein zutiefst verletztes Kind. Sie tat ihm leid. Was Ethan getan hatte, war unentschuldbar. Wenn ein Mensch etwas nicht wollte, durfte man es ihm nicht aufzwingen schon gar nicht, wenn es um Sex ging. Das wusste jeder. Nur McDummkopf anscheinend nicht.
„Es … es war so … so ekelhaft!“ Laura schniefte. „So … so erniedrigend! So widerlich! Ich fühle mich beschmutzt. Als ob ...“ Sie schlug die Hände vors Gesicht und begann zu schluchzen.
Arne warf einen Blick auf die Kameras die an Schienen oben unter der Decke hingen. Gleich drei hatten sich auf Laura ausgerichtet.
Ja, filmt nur, ihr Nasen!, dachte er. Viel Spaß mit der Einschaltquote!
Er sah zu, wie Antje sich neben Laura setzte und sie tröstend in die Arme nahm. Laura lehnte sich weinend an sie.
„Wie konnte er nur?“, schluchzte sie. „Wie konnte er das tun? Ich wollte es nicht. Das ist nun einmal so. Ich … ich … ich will so etwas nicht! Es … ich will es nicht! Warum hat er das nicht akzeptiert? Wieso hat er die Kameras angeschaltet? Doch nur, um seine kindische Angebernummer durchzuziehen! Die haben alles gesehen! Alles! Das läuft jetzt auf allen Fernsehern der Erde! Ich … ich ...“ Sie weinte noch lauter.
Arne tat sie leid. Arme Laura. Es musste grässlich sein, wenn man zu etwas gezwungen wurde, das einen abstieß. Das man nicht ertragen konnte.
Er musste an Erika denken, mit der er zusammen gewesen war, als er Mitte Zwanzig war. Sie fuhr total auf Cunnilingus ab. Wenn er sie leckte, ging sie ab wie eine Rakete. Sie betete ihn an, wenn er das für sie tat. Aber sie war nicht fähig, ihm einen zu blasen.
„Arne, wirklich, ich würde es gerne tun“, hatte sie gesagt und dabei ein Gesicht gemacht, als hätte sie soeben erfahren, dass sie in einer Stunde auf dem Scheiterhaufen verbrannt werden würde. „Ich tät’s echt gerne Arne! Wirklich! Aber ich kann nicht! Ich bringe es nicht fertig! Es ist … ich kann nicht. Ich bekomme so ein Würgen, wenn ich es versuche. Bitte, Arne ...“
Er hatte sie in die Arme genommen und ihr gut zugeredet. „Hey, Eri, ist okay. Wenn du es nicht über dich bringst, lassen wir es, ja? Es wäre für mich total abtörnend, wenn ich wüsste, dass du es nicht auch genießen kannst. Dann macht es absolut keinen Spaß. Wir lassen es, okay?“
Er stand drauf, wenn ihm ein Mädchen einen blies, und wie. Aber er wäre im Traum nicht auf die Idee gekommen, es von Erika einzufordern, nun wo er wusste, dass sie es nicht tun konnte. So einer war er nicht und er hatte stets angenommen, dass alle Kerle wie er waren.
McDickmaul hatte ihn eines besseren belehrt.
Mieser Hund! Setzt es einfach durch! Weil er scharf drauf ist! Was für ein dämlicher Hanswurst!
Er sah Laura an, wie sie sich weinend an Antje anlehnte.
Da hast du ja eine schöne Bescherung angerichtet, Mister McDickmaul. Das wird nix mehr, Alter. Das ist kaputt und kann nicht mehr repariert werden. Selbst schuld!
Arne musste sich bemühen, kein Gesicht zu ziehen. Nicht vor den Kameras! Aber er war sauer. Er konnte sich vorstellen, wie beschissen es von nun an werden würde. So richtig beschissen. Alles nur, weil McAngeber seinen Willen durchsetzen wollte.
Da kommen tolle Zeiten auf uns zu. Ich freue mich schon drauf. Shit, verdammter!
Wieder einmal haderte er mit dem Schicksal, das Katsuro Yamamoto aus dem Team gerissen hatte.
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