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Stefan Steinmetz
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Wenn der Rote Hahn kräht(25) Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       IP Information Zum Anfang der Seite springen

In Silberberg standen die Mitglieder der fünf Familien beim Herrenhaus und sahen zu, wie es abbrannte. Ganz zum Schluss stürzte der Bau, der größtenteils aus Holz bestand, in sich zusammen. Außer den Familien war niemand auf der Straße. Die Weltlichen zogen es vor, in ihren Häusern zu bleiben. Sie wollten mit den Machenschaften der fünf Familien nichts zu tun haben, aber so mancher überlegte, ob es nicht besser sei, demnächst Silberberg zu verlassen.
*
Am darauffolgenden Tag kehrten die fünf Familienältesten zur Brandstätte zurück. Das Feuer war vollständig erloschen. Wo das imposante Herrenhaus gestanden hatte, gab es nur noch rauchende Trümmer.
„Gehen wir zu Albas Haus“, sagte Adam Stolz. „Ich habe einen Kuhfuß dabei. Wir brechen die Hintertür auf.“
Zehn Minuten später standen sie im Keller des alten Hauses.
„Hier irgendwo muss der Eingang zu dem Stollen sein“, sagte Adam. „Der Gang verbindet das Herrenhaus mit Albas Hof. Das Verlies liegt genau in der Mitte.“
Julius Theiß zeigte auf einen Schrank: „Es müsste hinter dem Schrank sein. Schieben wir ihn beiseite.“
Gemeinsam schoben sie den Schrank zur Seite. Dahinter gähnte eine Öffnung in der Kellerwand.
„Das ist ja …!“ Adam war sprachlos. „Auf dieser Seite auch? Ich dachte, Pascal hat den Eingang unterm Herrenhaus gefunden.“
Sie knipsten ihre Taschenlampen an und betraten den Stollen. Bald standen sie vor dem aufgebrochenen Alkoven. Julius Theiß zeigte auf die herumliegenden Trümmer: „Der Kerl hat mit dem Pickel genau ins Pentagramm geschlagen. So hat er das Siegel aufgebrochen.“ Er leuchtete in den Stollen hinein, der zum Herrenhaus führte: „Könnten die in dem Keller überlebt haben?“
„Vollkommen ausgeschlossen“, sagte Harald Köhler. „Der alte Kasten ist ganz schnell in sich zusammengebrochen. Ich glaube nicht mal, dass sie es in den Keller geschafft haben. Das Feuer war so schnell, dass sie das nicht mehr tun konnten.“ Er lief ein Stück in den Gang hinein. Eine Minute später kehrt er zurück: „Alles eingestürzt. Da drüben lebt nichts mehr, kein Pascal, keine Rebekka und erst recht kein Opfer, das dem dunklen Fürsten gehört. Sogar der Gang ist ein Stück weit eingestürzt.“
Er lief nahe an der Wand entlang. Plötzlich blieb er mit der Schulter irgendwo hängen. „Verflixt! Ich habe mich gestoßen!“ Er leuchtete mit der Taschenlampe. Er erkannte einen Ziegel, der ein kleines Stückchen in den Gang hinausragte. Harald griff nach dem Stein: „Da ist was lose.“ Er begann, an dem Backstein zu zerren. Nach vielem Hin und her gelang es ihm, den Ziegel aus der Wand zu ziehen. Er leuchtete mit der Taschenlampe in das Loch in der Wand: „Da liegt was!“
Er zog ein kleines ledergebundenes Buch und ein Heft aus der Höhlung. „Sieh einer an! Ein geheimer Tresor!“
Eröffnete das Buch. „Das ist es!“, schrie er. „Das verschollene Buch! Nun können wir herausfinden, was wir tun müssen, um den Fürsten der Dunkelheit erneut anzurufen.“
Adam Stolz nahm ihm das Heft aus der Hand. Er blätterte darin herum. „Das ist von Alba.“ Er blätterte weiter. Dann stieß er einen Schrei aus. „Das ist der Beweis!“ rief er. „Pascal und Rebekka sind nicht durch diesen Stollen vor dem Feuer geflohen. Hätten sie es getan, hätten sie das Heft und das Buch nie und nimmer in dem Versteck hinter dem losen Ziegel zurückgelassen, weil sie damit rechnen mussten, dass wir es finden. Freunde, hier steht, was wir tun müssen, um die Gunst des dunklen Fürsten zurückzuerlangen. Da steht es schwarz auf weiß: Fünf Mädchen gleichzeitig in der Vollmondnacht an drei hintereinander liegenden Vollmonden opfern. Freunde haben es geschafft! Wir brauchen Pascal nicht länger. Es gibt einen wesentlich einfacheren Weg, den zerbrochenen Kreis zu schließen. Wir werden einen neuen Kreis erschaffen. In zwei Wochen ist Vollmond.“
Er schaute sich den kleinen Raum an, der dem Alkoven gegenüber lag, und maß ihn mit den Augen ab. „Das ist groß genug für fünf Opfer“, meinte er. „Die erste Opferung findet hier statt. Für die folgenden zwei müssen wir in anderen unterirdischen Gängen Platz schaffen.“
Adams Augen leuchteten vor Begeisterung. „Lasst uns gehen. Wir müssen mit den anderen reden. Wir rufen die Familienvorstände und ihre Frauen zusammen.“
Sie verließen das Haus durch den aufgebrochenen Hintereingang.
„Eilt!“, rief Adam stolz. „Holt alle zusammen! In einer Stunde treffen wir uns hier wieder. Dann werde ich verkünden, was zu tun ist, um die Gunst des Fürsten der Dunkelheit zurückzuerlangen. Es wird keine nutzlosen Opfer mehr geben. Die nächsten Opfer werden Wirkung zeigen. In drei Monaten wird es in Silberberg wieder so sein wie vorher. Macht und Reichtum werden Einzug halten.“
Sie zogen los. Niemand bemerkte die kleine Gestalt, die sich hinter dem halbverfallenen Geräteschuppen duckte. Es war Magdalena. Das Mädchen hatte jedes Wort mitangehört. Die fünf Ältesten hatten laut diskutiert. Sie erinnerte sich an jedes einzelne Wort Adams: „Diesmal wird der dunkle Fürst das Opfer nicht selbst erwählen. Es wird keinen Kranz am Haus des auserwählten Opfers am Haken hängen. Wir werden das Los entscheiden lassen. In der ersten Vollmondnacht werden wir im Wald in der Höhle die Messe für IHN abhalten und die ersten fünf auserwählten Mädchen dann in den Stollen unter Albas Haus bringen.“
Die Augen von Adam Stolz hatten einen fanatischen Glanz angenommen. „Bald!“, hatte er ausgerufen. „Bald, Freunde! Schon bald werden wir unsere alte Macht und unseren alten Reichtum wiedererlangen! Bald kehrt der Fürst in sein Haus zurück, zurück nach Silberberg. Unsere Häuser werden wieder SEIN Haus sein!“
Das hatte Adam Stolz laut ausgerufen. Und er hatte noch etwas gesagt. Er hatte gesagt, dass Pascal Hennes und Rebekka Dahl tot waren, begraben unter den Trümmern des Herrenhauses. Magdalena wusste, dass Adam Recht hatte. Wären Pascal und Rebekka durch den Stollen entkommen, hätten sie nie im Leben das bösartige Teufelsbuch und Albas Vermächtnis in dem Versteck hinter dem losen Ziegel zurückgelassen.
Magdalena brach in die Knie. „Sie sind tot!“, flüsterte sie. Tränen schossen ihr in die Augen. „Tot! Pascal, du darfst nicht tot sein! Oh Pascal!“
Aber er war tot, das wusste sie. Bevor das Herrenhaus einstürzte, hatte sie Pascal immer spüren können. Da war etwas in ihrem Herzen gewesen, etwas wie ein kleines Glöckchen. Wenn Pascal da war, hatte sie ein ganz leises Klingeln gehört oder eher gefühlt. Doch in ihrem Herzen herrschte Totenstille. Das Glöckchen der Liebe war verstummt. Weil Pascal tot war. Sie hatten ihn umgebracht. Sie hatten Pascal und Rebekka bei lebendigem Leib im Herrenhaus verbrannt.
„Ihr Mörder!“ schluchzte Magdalena. „Ihr verruchten Mörder! Ihr habt Pascal umgebracht! Pascal!“ Sie kam vor Schmerz schier um. Magdalena weinte lange dort in dem verlassenen Garten hinter Albas Haus.
Irgendwann hatte sie keine Tränen mehr. Ihr Inneres war wund vor Schmerz. Sie spürte die kalte Flamme in ihrem Herzen und die neue warme Flamme, die heller den je brannte, die Flamme der Liebe, gegen die das kalte Teufelsfeuer nicht ankam. Sie brannte jetzt nutzlos. In Magda war keine Liebe mehr. Die fünf Familien hatten diese Liebe ausgelöscht. Sie hatten Pascal ermordet.
Magdalena schaute zum Himmel. Noch war er klar und blau. Wenn die Nacht kam, würde der Mond aufgehen, ein sehr schmaler Mond, eine Sichel nur, aber mit jeder Nacht würde dieser Mond zunehmen, bis er voll war und die Teufelsanbeter aus den Familien aufs neue Angst und Qual über unschuldige Kinder bringen würden in ihrer grenzenlosen Gier nach Macht und Reichtum.
*
Pascal und Rebecca hatten ihr Narrowboat übernommen. Sie waren nicht gleich losgefahren, sondern sie hatten das Boot in eine nahegelegene Marina gebracht, wo sie einen ganzjährigen Anlegeplatz angemietet hatten. Sie waren von ihrer überstürzten Flucht so mitgenommen, dass sie erst einmal ein paar Tage in der Marina verbringen wollten, bevor sie zu ihrer Tour auf den Kanälen aufbrachen. Sie waren noch immer fassungslos. Ihr Verstand weigerte sich, zu glauben, was sich in Silberberg abgespielt hatte.
„Mein Großvater und mein Vater haben mich gewarnt“, sagte Pascal. Sie saßen ganz vorne im Bug ihres Bootes. Das Wetter war angenehm. Pascal erzählte Rebecca alles. „Die wussten mehr als ich“, meinte er. „Aber warum haben Sie mir nicht alles gesagt? Ich war ja kein kleines Kind mehr, als ich nach Silberberg fragte. Ich finde es im Nachhinein absolut dämlich, dass sie um den heißen Brei herumgeredet haben. Mit dem vagen Gefasel haben sie glatt das Gegenteil erreicht. Ich war danach erst recht neugierig auf das Dorf, vor dem sie mich gewarnt haben. Hätten sie mir reinen Wein eingeschenkt, hätte ich diese Erbschaft wahrscheinlich niemals angetreten.“
Er fasste nach Rebekkas Hand. „Andererseits muss ich Ihnen dankbar sein, denn wäre ich nicht nach Silberberg gekommen, hätte ich dich nicht kennengelernt. Du bist das Beste, das mir in meinem Leben passiert es. Ich möchte nicht mehr ohne dich sein.“ Er seufzte. „Aber ich kann es immer noch nicht glauben.“ Er schüttelte den Kopf. „Die haben uns umgebracht! Uns eiskalt ermordet! Sie wissen ja nicht, dass wir überlebt haben. Uns umgebracht. Einfach so. Nur weil wir nicht nach ihrer Pfeife tanzen wollten. Das ist ungeheuerlich! Einfach unvorstellbar. Ein Mob ist über uns hergefallen und hat uns bei lebendigem Leib verbrannt. Sie wissen ja nicht, dass wir in letzter Sekunde entkommen sind. Für die fünf Familien sind wir tot, du, Magdalena und ich. Sie haben gemeinschaftlich einen Dreifachmord begangen.“ Wieder schüttelte er den Kopf. „Und vorher haben sie einen auf nett und gutmütig gemacht, diese verlogene Mischpoke. Mein Vater und mein Großvater hatten recht: Silberberg ist böse. Das Dorf ist verflucht. Weißt du, was ich am schlimmsten finde? Dass sie auch dich eiskalt umbringen wollten. Deine eigenen Leute haben dabei mitgemacht. Das ist unfassbar.“
„Die Menschen, die mir verwandtschaftlich wirklich nahestehen, waren nicht dabei“, sagte Rebekka. „Ich habe genau hingesehen, als sie vor dem Herrenhaus aufmarschierten. Denen hat man offenbar verschwiegen, was abging.“
„Perfide!“, sagte Pascal. „Die haben es erst hinterher erfahren, als alles vorbei war. Was Magdalena wohl im Moment macht …? Sie ist ganz allein draußen im Wald. Was geht wohl in diesem Kind vor? Ich habe ihr gesagt, dass du und ich nach einem Weg suchen werden, um sie von dem Fluch zu erlösen, der auf ihr liegt.“
„Das können wir immer noch“, sagte Rebekka.
Pascal sah sie fragend an.
„Das böse Buch und Albas Vermächtnis“, sagte Rebecca. „Darin steht die Lösung. Wir müssen es uns nur holen.“
Pascal erschrak: „Du willst zurück an diesen verfluchten Ort?“
„Wir müssen!“, gab Rebekka zur Antwort. „Wir dürfen nicht riskieren, dass die Familien durch Zufall auf das Teufelsbuch stoßen. Sie würden den alten Opferbrauch wieder aufleben lassen. Das darf nicht geschehen, Pascal! Die Kinder können nichts dafür, dass sie in eine der fünf Familien hineingeboren werden. Sie sind unschuldig. Denk daran, was meine Urgroßmutter in ihrem Vermächtnis schrieb: Wenn man dreimal hintereinander fünf Mädchen opfert, kommt der Fürst der Dunkelheit zurück in alter Macht. Willst du zulassen, dass fünfzehn kleine Mädchen lebendig eingemauert werden? Wir müssen zurück nach Silberberg.“
„Okay“, sagte Pascal. „Wir gehen hin. Wir fliegen nach Deutschland und nehmen uns einen Mietwagen. Dann machen wir Quartier in einer kleinen Pension außerhalb von Silberberg und nachts schleichen wir uns ins Dorf. Ich habe die Schlüssel zu Albas Haus. Wir gehen heimlich rein und holen das Buch und Albas Heft und dann nichts wie raus.“
„Wir tippen den Text des bösen Buches ab“, sagte Rebekka. „Sobald wir alles im Computer haben, können wir es von einem Übersetzungsprogramm ins Deutsche übertragen lassen. Wir müssen die Lösung finden. Wir müssen uns beeilen. Jeder Tag, der vergeht, könnte dazu führen, dass die Familien das Buch finden. Das darf niemals geschehen.“
Pascal nickte: „Einverstanden. Wir buchen für morgen einen Flug und einen Leihwagen. Wir müssen zurück, auch wenn sich alles in mir dagegen sträubt, nach Silberberg zu gehen. Wenn wir das Buch erst einmal haben, können wir vielleicht den Fluch, der auf Silberberg lastet beenden.“

25.10.2024 09:43 Stefan Steinmetz ist offline Email an Stefan Steinmetz senden Beiträge von Stefan Steinmetz suchen Nehmen Sie Stefan Steinmetz in Ihre Freundesliste auf
 
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