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Stefan Steinmetz
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Wenn der Rote Hahn kräht(3) Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       IP Information Zum Anfang der Seite springen

Dr. Bendler führte Pascal weiter durch das Haus. Pascal bestaunte die blitzblank gebohnerten Parkettfußböden und die teuren Teppiche. Man sah der Einrichtung des Hauses an, dass sie etwas gekostet hatte.
„Das Haus ist mit Silber bezahlt“, erklärte Bendler, als hätte er Pascals Gedanken gelesen. „Das Dorf hat seinen Namen von der Silbermine im Wald. Nicht weit von hier, ging es in einen Hügel hinein. Dort haben die fünf Familien vor etwa vierhundert Jahren Silber gefunden.“
„Die fünf Familien?“
„So nennt man sie hier im Dorf. Die fünf Familien. Ihre ist eine davon, Herr Hennes. Dann noch Stolz, Köhler, Theiß und Dahl. Diese fünf Familien leben seit dem Mittelalter in Silberberg. Sie haben im Jahr 1632 das Silber entdeckt und wurden wohlhabend. Ihnen gehört auch heute noch das halbe Dorf und fast das ganze Land rund um den Ort. Sie haben sich auch weiter draußen eingekauft. Die Mine ist 1891 eingestürzt. Es gab ein Erdbeben. Man stelle sich vor: Ein Erdbeben hier in der Gegend. Aber es ist amtlich registriert. Die Mine gab nichts mehr her, aber die fünf Familien hatten schon genug Geld und Land erworben. Die können es sich bis heute gut gehen lassen.“
Er winkte Pascal zur Haustür: „Gehen wir nach draußen. Ich zeige ihnen das Grundstück. Es geht nach hinten und in Richtung Wald. Sie haben mehr als zwei Hektar Land direkt beim Haus.“
Als er die Haustür hinter sich schloss, fiel Pascals Blick auf einen wuchtigen Haken aus Bronze, der neben der Tür aus der Wand ragte: „Was ist das?“
Bendler zuckte die Achseln: „Keine Ahnung. Diese Haken gibt es auch an vielen anderen Häusern im Dorf. Vielleicht hat man früher Laternen dort aufgehängt, als es noch keine elektrische Straßenbeleuchtung gab.“ Er zeigte die Straße hoch: „Dort geht es in den Wald. Früher sind die Arbeiter zu Fuß zur Silbermine gegangen. Es gibt weiter hinten eine richtige Straße, auf der man das geförderte Erz abtransportierte, aber die Miner liefen hier entlang in den Wald.“ Er sprach das Wort in Englisch aus: Meiner. Minenarbeiter.
„Die Leute aus dem Haus sind durch den Wald zur Arbeit gegangen?“
„Wo denken Sie hin?“ Der Notar grinste spöttisch. „Von den fünf Familien ging keiner ins Bergwerk. Die haben ihr Leben nicht in den Stollen riskiert. Dafür waren die Weltlichen da.“
„Die Weltlichen?“ Pascal stutzte. „Was waren denn die fünf Familien? Die Göttlichen?“
„Nein. Sie gehörten einer besonderen Glaubensgemeinschaft an“, antwortete Bendler. „Ich weiß nicht genau, welcher. Vielleicht Methodisten oder Baptisten. Irgendwas in der Art. Sie waren immer tiefgläubig und feierten ihre Messe für sich, von den anderen Dorfbewohnern getrennt. Sie blieben immer unter sich. Ganz früher haben sie nicht einmal Weltliche geheiratet, sondern nur untereinander. Es fing erst in den achtzehnhundertvierziger Jahren oder so an. Früher gab es das nicht.“ Bendler lächelte. „Sie blieben für sich und sie verließen das Dorf nie, sagt man. Es heißt, sie seien so fest mit Silberberg verwurzelt, dass sie die Grenze dieser Gegend nicht überschreiten können.“ Der Notar feixte. „Das ist natürlich Unsinn. Die Leute reden nun mal. Das weiß man doch. Die fünf Familien sind einfach tief mit ihrem Dorf verbunden.“
„Bis auf meine“, sagte Pascal. „Die sind 1891 abgewandert. Die waren also nicht hier am Silberberg angebunden.“ Er grinste. „Keine unsichtbaren Ketten hielten sie fest, als sie sich nach Süden aufmachten.“
Bendler grinste nicht. „Jetzt wo Sie es sagen, Herr Hennes … Also Roland Hennes war ein Halbblut und seine Frau eine Weltliche. Halbblüter, so sagen die Leute, können über die Grenze hinausgehen.“
Pascal runzelte die Stirn. „Halbblüter?“
„Die Mutter von Roland Hennes war eine Weltliche“, erklärte Bendler. „Ich weiß das, weil ich den ganzen Stammbaum durchgehen musste, um Sie ausfindig zu machen. Armin wusste anscheinend nicht genau, wo Sie zu finden sind. Er hat damals zufällig erfahren, dass Sie ihre Eltern verloren haben und Sie spontan als Erben eingesetzt. Ich glaube, er hat immer gehofft, dass der verschwundene Zweig der Familie Hennes eines Tages ins Dorf zurückkehrt. Deswegen müssen Sie hier wohnen. Das wird im Testament ausdrücklich verlangt.“
Pascal schaute über die Straße. „Was ist das?“ Er zeigte auf einen Hof, der in rund sechzig Metern Entfernung inmitten eines vernachlässigten Bauerngartens lag. Das Haus war ein südwestdeutsches Bauernhaus, wie die anderen Höfe im Dorf. Es war groß, aber lange nicht so riesig wie das Herrenhaus.
„Der alte Dahl-Hof“, antwortete Bendler. „Dort lebte Alba Dahl, bis sie vor zehn Jahren starb. Rebekka Dahl war untröstlich, ihre geliebte Uroma zu verlieren und erst recht untröstlich, als sie den Hof nicht erbte. Alba hatte ihrer Urenkelin immer versprochen, dass sie den Hof erben würde. Aber Alba starb, ohne ein Testament zu hinterlassen. Die Besitzverhältnisse waren kompliziert und es lief darauf hinaus, dass Rebekka das Bauernhaus nicht bekam. Arnim Hennes behauptete, Alba Dahl hätte nur lebenslanges Wohnrecht im alten Hof gehabt. Das Bauernhaus habe ihr nicht gehört. Rebekka ist den Hennes-Leuten bis heute gram deswegen. Sie lebt im Dorf auf dem Hof ihrer Eltern, aber ich glaube, sie hofft insgeheim immer noch, den Hof ihrer Urgroßmutter zu bekommen.“
„Das Haus gehört mir?“, fragte Pascal.
Bendler nickte. „Gehört zu Ihrem Besitz, Herr Hennes.“
„Können wir es uns mal anschauen?“
„Selbstverständlich. Ich habe die Schlüssel dabei.“
Sie überquerten die Straße und liefen in gemütlichem Tempo zu dem Hof hinüber. Pascal mochte das Bauernhaus auf den ersten Blick. Es war großzügig geschnitten und hatte einen Anbau. Aus der Luft sah das Haus aus wie ein großes L. Die Scheunenseite schien kein Wohnraum zu sein. Da hatte man wohl nicht umgebaut wie bei vielen anderen aufgegebenen Höfen, wo man die ehemalige Scheune zu Wohnraum umgebaut hatte. Das Dach hing durch und einige Fensterläden hingen schief in verrosteten Angeln. Auch die Fenster sahen aus, als täte ihnen eine Renovierung gut. Wer in diesem Haus leben wollte, hatte erst mal einiges zu tun.
Im Inneren des Hauses sah man erst recht, dass sich jahrelang niemand um das Gebäude gekümmert hatte. Aber Pascal verliebte sich sofort in den Bau. Das alte Bauernhaus war gemütlich. Kein Vergleich mit dem klotzigen Herrenhaus, das viel zu groß für eine Person war. Auch zu groß für zwei, fand er.
„Hören Sie, Dr. Bendler“, fing er an. „Das Haus hier gehört also mir?“ Der Notar nickte. „Dann könnte ich rein theoretisch hier wohnen statt im Herrenhaus, nicht wahr?“
„Natürlich“, sagte der Notar. „Nichts spricht dagegen, Hauptsache Sie haben ihren ständigen Wohnsitz in Silberberg.“ Er machte eine allumfassende Geste. „Hier müsste aber so einiges getan werden, innen wie außen.“
„Kein Problem“, meinte Pascal gut gelaunt. „Das Hofhaus hier gefällt mir viel besser, als der Herrensitz. Das Herrenhaus ist doch viel zu groß für eine Person, die allein lebt.“
„Nun … vielleicht bleiben Sie ja nicht immer allein, Herr Hennes.“ Bendler schmunzelte. „Man heiratet ja auch hin und wieder und gründet eine Familie.“
„Egal“, gab Pascal zurück. „Auch mit Frau und zwei oder drei Kindern ist der Herrensitz zu groß, finde ich. Mir gefällt das hier viel besser.“ Er klatschte mit der flachen Hand auf den weißen Putz im Treppenhaus. „Es ist zweistöckig und der Anbau wäre perfekt, um ihn als Bibliothek zu benutzen. Man müsste wahrscheinlich den Boden von unten abstützen, Stempel im Keller aufstellen, meine ich. Bücher haben ein ziemliches Gewicht.“
„Ja, wenn Sie möchten, dann renovieren Sie den alten Kasten“, sagte Bendler. „Ein schönes Haus ist es ja. Mir gefallen die alten südwestdeutschen Bauernhäuser mit ihren Sprossenfenstern und den Holzläden. Geld für die Instandsetzung haben Sie. Mehr als genug.“
„Cool“, sagte Pascal. „Das werde ich machen. Solange wohne ich im Herrenhaus, gezwungenermaßen. Ich sollte mich schleunigst mit dieser Frau Friedmann in Verbindung setzen, damit ich mich nicht zu Tode putze. Hausarbeit war noch nie meine Stärke. In meiner kleinen Wohnung habe ich nur das Notwendigste gemacht und das ungern.“
„Ich schreibe ihnen die Adresse und Telefonnummer von Agnes Friedmann auf“, sagte der Notar. „Agnes wird sich freuen, weiter im Herrenhaus arbeiten zu können. Wie gesagt: Sie und ihr Mann haben ein Haus abzuzahlen. Da ist jeder zusätzlich verdiente Euro hochwillkommen.“
Sie verließen den alten Hof und gingen zum Herrenhaus zurück.
„Können Sie mir einen Architekten empfehlen, der den alten Hof für mich herrichtet?“, fragte Pascal. „Es müsste einer sein, der sich mit dem Renovieren alter Bauernhäuser auskennt.“
„Gehen Sie zu Arno Brill. Er wohnt im Dorf. Arno kann Ihren Hof originalgetreu restaurieren. Er hat die richtigen Kontakte. Zu Leuten, die die alten Sprossenfenster originalgetreu neu bauen können und so weiter.“ Bendler holte eine Visitenkarte aus der Tasche: „Hier. Seine Karte.“
„Sie haben seine Karte?“
Bendler lächelte wieder sein gewinnendes Lächeln. „Nun … wir sind verwandt, wissen Sie.“
Pascal lachte. „Vetternwirtschaft!“
Bendler zuckte die Achseln: „Wir sind hier auf dem Dorf.“
„Jeder kennt jeden“, sagte Pascal.
„Ganz recht und das sorgt dafür, dass Sie hier unmöglich an einen Pfuscher geraten können. Denn wenn einer Pfusch liefern würde, wüsste es das Dorf sofort und auch in den umliegenden Ortschaften brauchte so ein Handwerker nicht mehr aufzutauchen. Das hat was, finden Sie nicht?“
„Ja“, sagte Pascal. „Das hat was.“ Er verlangsamte seine Schritte.
„Hennes?“ Der Notar schaute ihn von der Seite an.
Pascal schaute zum Herrenhaus hin. Aus diesem Blickwinkel betrachtet, wirkte es seltsam fremd. Irgendetwas schien nicht zu stimmen. Er konnte nicht sagen was es war. Das Haus war nicht schief. Es war nicht asymmetrisch gebaut. Alles war am Platz. Trotzdem wirkte der große Kasten irgendwie seltsam. Das Haus war nicht krumm gebaut, aber es schaute irgendwie krumm aus. Er betrachtete die Sprossenfenster in der Fachwerkfassade. Die Fensterrahmen waren nicht im üblichen Weiß gestrichen, wie man es an den alten Bauernhäusern der Gegend sonst sah. Sie waren in einem tiefen Rotton angemalt. Das Rot hatte die Farbe von geronnenem Blut. Es sah beinahe rostig aus. Die Fensterstürze waren in der gleichen Farbe gehalten. Die Farbe gab dem ganzen Haus etwas Düsteres. Es schien beinahe bösartig da zu hocken, klotzig und breit und irgendwie geduckt, wie zum Sprung geduckt.
Pascal fühlte sich unwohl. Das Herrenhaus gefiel ihm nicht. Die Aussicht, in diesem düsteren Kasten zu leben, behagte ihm nicht.
Bendler schubste ihn an: „Kommen Sie, gehen wir. Ich übergebe Ihnen die Schlüssel, dann können Sie im Herrenhaus übernachten. Sie sollten sich so schnell wie möglich auf dem Amt anmelden. Ich brauche die Anmeldung, um das Testament zu vollstrecken. Das können Sie gleich morgen erledigen, wenn Sie möchten.“
„Ich muss noch zurück und meine Wohnung auflösen und mich um alles kümmern“, sagte Pascal. Er wollte nicht in diesem großen Kasten übernachten. Das Haus wirkte grimmig auf ihn. Als ob es ihn nicht mochte. Nein, er würde nach Hause fahren und erst wenn alles erledigt war, zurückkehren. „Meinen Computer muss ich auch noch holen. Und meine Bücher und alles Sonstige. Möbel brauche ich keine. Da habe ich auch nichts Besonderes. Das muss ich loswerden oder vielleicht übernimmt es mein Nachmieter.“
Bendler schien nicht zufrieden zu sein. „Müssen Sie wirklich sofort zurück? Möchten Sie sich nicht erst im Amt anmelden? Es ist wegen der Bestimmungen im Testament. Solange Sie in Silberberg nicht Ihren Wohnsitz haben, kann ich Ihnen nicht weiterhelfen. Dann können Sie nicht an das Vermögen heran und haben keinerlei Verfügungsgewalt über Ihren Landbesitz.“
Pascal sah noch einmal das Herrenhaus an. Es gefiel ihm mit jeder Sekunde weniger. Nein, hier würde er heute Nacht nicht schlafen.
„Ich fahre nach Hause“, sagte er. „Ich muss meinen Computer holen und Bettzeug …“
„Das Herrenhaus ist fertig eingerichtet“, hielt Bendler dagegen. „Sie können im Ehebett von Arnim und Ellen schlafen. Bettzeug ist da.“
„Danke, aber ich schlafe lieber im eigenen Zeug“, sagte Pascal. „Ich kümmere mich um alles. Ich bin bald wieder da. Vielleicht in drei oder vier Tagen.“
„Ja dann …“ Bendler klang nicht erfreut. „Wie Sie meinen. Gute Heimfahrt. Sobald Sie zurück sind, melden Sie sich bitte an und dann suchen Sie mich auf. Dann erledige ich alles für Sie. Erst dann sind sie wirklich der Besitzer des Herrenhauses.“
Mir egal, dachte Pascal. In dem klotzigen Kasten wohne ich nur solange, bis der Bauernhof hergerichtet ist. Keinen Tag länger!

03.10.2024 08:10 Stefan Steinmetz ist offline Email an Stefan Steinmetz senden Beiträge von Stefan Steinmetz suchen Nehmen Sie Stefan Steinmetz in Ihre Freundesliste auf
 
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