Mars First - Mit dem One Way Ticket zum Mars(32) |
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Arne lenkte den Rover von der Kolonie weg über die Nordoststraße zu den Flat Hills, hinter denen der neue Meteorkrater lag. Laura saß neben ihm und lächelte ihn an.
Er hatte sie fahren lassen wollen, doch sie hatte ihn mit diesem Lächeln angesehen und gesagt: „Der Mann fährt.“ Also saß er an den Steuerkontrollen.
„Wieso hast du Lindy-Flindy nicht dabei?“, fragte er. „Sie hätte dir helfen können, Proben zu nehmen.“
„Der Akku ihres Raupenantriebs war nicht mal halbvoll“, antwortete Laura. „Mit leerer Antriebsbatterie nehme ich sie nicht mit. Sie hätte heute Morgen nicht so herumtoben sollen. Nun hockt sie schmollend an der Ladestation und tankt nach. Wer nicht hören will, muss fühlen.“
Arne verkniff sich ein Lachen. „Du klingst wie eine Mutter.“
„Bin ich ja.“ Lauras Lächeln verbreiterte sich.“Gewissermaßen. Sie hat mich adoptiert. Sie folgt mir überall hin wie ein kleiner Schatten. Sie lernt alles in atemberaubendem Tempo. Leider vergisst sie darüber das Nachladen ihres Raubenantriebs. Die fährt viel durch die Kolonie, am liebsten in der Gartenkuppel. Dort saust sie auf den Wegen herum. Allein eine Runde auf dem äußeren Laufweg misst sechsunddreißig Meter und sie liebt es, Full Speed zu fahren und aus dem Stand heraus zu beschleunigen, als wäre der Teufel hinter ihr her. Das saugt die Batterien leer. Sie ist ein ungestümes Kind.“
„Wollte Ethan nicht einen Akku zum Wechseln für sie bauen?“, fragte Arne.
Lauras Lippen wurden zu einem schmalen Strich: „Könnten wir bitte über etwas anderes reden?“
Er schaute zu ihr hinüber: „Es geht dir immer noch nahe.“
Laura atmete tief ein und wieder aus. Es fiel ihr sichtlich schwer, zu sprechen. „Es war furchtbar für mich. Arne, ich bin nicht verklemmt. Denk das bitte nicht von mir. Doch ich wollte das nicht. Es war für mich nicht drin. Das habe ich Ethan ausdrücklich gesagt. Mehr als einmal! Er gab keine Ruhe. Er bedrängte mich. Es wurde zu einer fixen Idee für ihn. Du weißt, wie er ist, wenn er sich etwas in den Kopf gesetzt hat.“
„Ja“, sagte Arne. Er steuerte den Rover um einen Felsblock herum und die sanfte Steigung hinauf, die zum neuen Krater führte. Er betrachtete die Landschaft vor dem Rover. Die tiefstehende Sonne ließ die Farben erglühen.
„Ich fühlte mich beschmutzt“, sagte Laura. Ihre Stimme war leise. Arne fragte sich, ob ihr klar war, dass sie beide gefilmt wurden. Auch im Rover gab es Kameras. In ihren Helmen sowieso.
„Ich fühlte mich beschmutzt“, wiederholte Laura. „Besudelt. Es war so … so widerlich! Wie konnte er nur! Ich habe ihm vertraut! Bedingungslos vertraut! Er hat alles in den Dreck gezogen und das nur, um seinen Dickkopf durchzusetzen.“
Sie schaute Arne an: „Weißt du Arne, ich mochte Ethan. Sehr sogar. Das hat man vielleicht nicht immer gespürt. Wir … wir waren keine Turteltäubchen so wie du und Maus.“ Sie lächelte in sich hinein. „Wenn man euch sieht … nein, mit Ethan und mir, das war anders, aber es war gut.
Diese Idee von Ethan, für jedes Paar auf dem Mars eine eigene Kuppel zu errichten, mit angebauter Wohneinheit, die teilweise unter der Oberfläche liegt. Mensch, Arne! Ich fand das absolut fantastisch! Du glaubst nicht, wie oft ich mir in Gedanken alles ausmalte.“
Lauras Gesicht nahm einen weichen Zug an. „Die zweite Crew kommt und wir bauen. Neue Kuppeln entstehen, alle mit gemauerten Laufgängen verbunden. Oft sah ich mich in meinr Fantasie am Morgen aufstehen und nach dem Frühstück in meiner persönlichen Kuppel arbeiten, meinen Garten hegen und pflegen. Wir würden alles anbauen, stellte ich mir vor. Wir würden einander helfen. Immer reihum würden wir in einer Kuppel arbeiten und anpflanzen und ernten.
Ich träumte von einer zentralen Kuppel, in der wir uns für soziale Aktivitäten treffen konnten. Ich träumte in den leuchtendsten Farben.“
Laura seufzte. „Jetzt ist alles grau und farblos. Ethan hat alles beschmutzt. Wie konnte er nur.“
„Es wird wieder bunt werden“, sagte Arne. „Es braucht nur Zeit.“
Sie schaute ihn zweifelnd an: „Meinst du?“
„Gewiss“, bestätigte er. „Im Moment kommt es dir vor, als wäre die ganze Zukunft dunkel und grau. Aber das wird wieder, Laura, glaube mir.“
Sie sah ihn sehr intensiv an: „Versprichst du mir das, Arne?“
Er musste schlucken. „Ja, Laura“, sagte er schließlich. Ich verspreche es dir.“ Es gefiel ihm nicht, wo sie ihn hin manövriert hatte, aber er meinte es ehrlich. Er glaubte daran, dass alles gut werden würde. Es brauchte nur Zeit. Sie blickten wieder nach vorn. Die Hügelkuppe lag direkt vor ihnen. Mit summende Elektromotoren kroch der Rover hinauf.
„Oh mein Gott!“, schrie Laura.
Arne erschrak. Er trat auf die Bremse. Mit einem Ruck kam der Rover zum Stehen. Sie befanden sich ganz oben auf einem der flachen Hügel. Der neue Krater lag vor ihnen. Im Hintergrund erstreckte sich die sanft abfallende Ebene bis zum Horizont.
Sie blickten auf eine erstarrte Welt aus bizarren Eiskristallen.
„Er hat aufgehört zu fließen“, sagte Arne. „Alles ist eingefroren.“
Der Fluss bestand aus roten Steinbrocken und rötlich verfärbten Eisschollen, die sich übereinandergeschoben hatten und himmelwärts ragten, manche von ihnen gut vier bis fünf Meter hoch. Es bewegte sich nichts. Es gab kein fließendes Wasser mehr. Der erstarrte Kristallfluss dampfte im bleichen Sonnenlicht. Manche der Eisplatte waren so dünn, dass das Licht hindurchschien und sich in bunte Farben aufspaltete.
„Das Eis sublimiert“, sagte Laura. „Weil die Atmosphäre so dünn ist, geht das Wasser vom festen direkt in den gasförmigen Zustand über.“
„Kommt das von der Kälte?“, fragte Arne. Er schaute die bizarren Eisgebilde an, die heftig dampften. „Ich meine, ist die Hitze vom Meteoreinschlag weg und deswegen kühlt alles ab?“
Laura nickte: „Genau das. Die Hitze des Einschlags ist vergangen und der Fluss begann zu gefrieren.“ Sie fasste ihn am Arm: „Zieh deinen Helm an! Wir müssen raus und das filmen und fotografieren! In einer Woche ist das Eis komplett verdampft. Ich will Proben nehmen.“
„Ist das nicht ein wenig gefährlich?“, meinte Arne. Er setzte den Helm auf und verriegelte ihn. Sein Marsanzug begann automatisch damit, ihn mit Atemluft zu versorgen. Die Heizung würde anspringen, sobald sie den warmen Rover verließen.
Laura aktivierte die Tür. Jaulend saugten die Kompressoren die Kabine luftleer. Die Atemluft wurde in Druckflaschen gespeichert. Nach zwei Minuten war der Rover leer und die Tür öffnete sich selbsttätig. Sie stiegen aus.
Arne folgte Laura, die eilig zu dem bizarren Eisfluss lief. „Nicht so schnell“, rief er ins Helmmikrofon. Achte auf den Boden! Nicht dass du irgendwo einbrichst.“
Laura drehte sich zu ihm um. Sie hatte das goldbedampfte Zusatzvisier nicht heruntergeklappt und er sah ihr Lächeln: „Keine Sorge. Wenn die Kälte diese dicken Schollen hervorbringen konnte, hat sie auch den Untergrund zu festem Stein frieren lassen. Hilf mir, von dem Eis Proben zu nehmen.“
Sie liefen an dem Fluss aus erstarrtem Eis entlang und Laura schlug von Zeit zu Zeit Eisbrocken ab, die sie in Probenbehälter verstaute.
„Zu dumm, dass ich nicht daran gedacht habe, eine Kamera mit Langzeitspeicher aufzustellen“, sagte sie. „Ich hätte das gerne gefilmt, wie das Wasser allmählich gefror und sich die Schollen übereinander schoben. Das nächste Mal denke ich daran.“
Arne ächzte. „Das nächste Mal?! Mal den Teufel nicht an die Wand! Der eine Einschlag reicht mir! Hoffentlich erlebe ich nie wieder einen, solange ich lebe.“
Sie stieß ihn an: „Wo bleibt dein Forschergeist, Arne Heuermann?! Sonst bist du mutiger!“
„Mit Mut hat das nichts zu tun“, meinte Arne. „Ich möchte nicht mehr mitansehen, wie mir der Himmel auf den Kopf fällt. Das war ein ziemlich unangenehmes Erlebnis.“
Sie setzten die Arbeit fort. Nach einer halben Stunde kehrten sie zum Rover zurück und fuhren ein Stück weiter in die Ebene hinaus. Laura nahm noch mehr Proben.
Die ganze Zeit über war sie aufgekratzt und guter Laune. Sie plauderte fröhlich mit Arne und fragte ihn nach seinem Leben.
Sie kehrten erst zurück, als die Sonne sich dem Horizont näherte.
*
Ethan sah die beiden zur Kolonie zurückkommen. Er beobachtete, wie sie den Rover an die Ladestation anschlossen und sie ihre Beute nach Hause brachten. Offensichtlich hatten sie viele Proben entnommen. Beide trugen große Taschen.
Mich wollte sie nicht dabei haben, dachte er. Ich bin ihr nicht mehr gut genug als Assistent.
Es versetzte ihn in hilflosen Zorn, dass Laura ihn ignorierte. Sie arbeitete mit ihm, wo es sich nicht vermeiden ließ. Dann redete sie auch mit ihm, aber sonst tat sie, als existiere er nicht. An der neuen Kuppel tat sie keinen Handschlag. Das machte ihn wütend. Warum führte sie sich so kindisch auf? Die Kuppel war für alle! Aber Madame spielte den Trotzkopf und half nicht beim Bau.
Es ging sowieso nur schleppend voran. Auch Arne und Maus rissen sich nicht gerade darum, an der Kuppel mitzuhelfen. Oft arbeitete Ethan allein. Es war frustrierend.
Laura kehrte nicht zu ihm zurück ins Habitat. Anfangs hatte er sich noch Hoffnungen gemacht, aber sie hatte sich inzwischen im hinteren Bereich von Habitat 3 häuslich eingerichtet. Er hatte ihr, wie versprochen, eine Dusche eingebaut. Sie hatte sich bedankt und ihn danach weggeschickt.
Nacht war Lindy-Flindy bei ihr. Das Robogirl spielte den Wachhund.
Was für ein Käse!, dachte Ethan voller Ingrimm. Als käme ich auf die Idee, nachts zu Laura zu schleichen und über sie herzufallen. Sie führt sich auf wie eine Verrückte!
Der Vorfall mit Laura hatte Ethan isoliert. Auch Arne und Maus behandelten ihn mit einer gewissen Kühle. Sie gaben sich Mühe, sich nichts anmerken zu lassen, aber Ethan spürte ihre Zurückhaltung.
Arne hatte sich bei ihm für die beweglichen Gestelle für seine Solarzellen aus dem 3-D-Printer bedankt, aber auch dabei war er kurz angebunden geblieben.
Laura gegenüber war er gesprächiger. Ethan hatte mitbekommen, wie Laura um den Deutschen herum scharwenzelte. Tat sie das, um ihn zu ärgern? Um ihm eins auszuwischen? Oder wollte sie was von Arne? Sie schmiss sich regelrecht an den Kerl ran. Es war ein Wunder, dass Maus nichts merkte.
Es deprimierte Ethan, mitanzusehen, wie Laura sich Arne zuwandte. Es machte ihn wütend und traurig zugleich. Er wusste nicht, wie er mit seinen Gefühlen umgehen sollte und fraß alles in sich hinein.
Ihm gefiel es immer weniger auf dem Mars. Nie hatte er sich sehnlicher gewünscht, wieder zur Erde zurückkehren zu können.
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