Mars First - Mit dem One Way Ticket zum Mars(39) |
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Als Liam Bishop nach Hause kam, spürte er sofort, dass etwas nicht stimmte. Er hatte sich kurz nach der Morgenbesprechung aus dem Center von Ground Control verabschiedet. Es war schönes Wetter und er hatte vorgehabt, mit Dottie und den Mädchen einen Ausflug zu machen.
Er fand nur seine Frau zu Hause vor und nach einem Blick in Dorothys Gesicht wusste er, dass dicke Luft herrschte. Er schaute sich suchend um.
„Nach den Kindern brauchst du nicht zu schauen, Liam Walther Bishop! Sie sind bei deinen Eltern. Sie werden bei Oma und Opa übernachten.“
Weia! Wenn Dottie ihn mit seinem vollen Namen ansprach, bedeutete das, dass sie sauer war.
Was habe ich angestellt?, fragte Liam sich in Gedanken. Ihm fiel nichts ein.
„Fällt dir nichts ein?“, fragte Dorothy, als hätte sie seine Gedanken gelesen. Sie nagelte ihn mit ihrem Blick fest. „Mir ist nämlich etwas eingefallen.“
„Ich weiß nicht, was du meinst, Liebling“, sagte er. Ihm wurde der Kragen eng. Die Zeichen standen auf Sturm.
„Ich kann dir ja auf die Sprünge helfen“, meinte sie. Ihre Stimme triefte vor Sarkasmus. Sie spitzte den Mund und flötete: „Wir müssen so langsam was für die Entspannung der Situation tun.“
Liam kapierte immer noch nicht, was sie wollte. Er schaute sie fragend an.
„Liam Walther Bishop! Willst du mich für dumm verkaufen?“ Ihre Stimme klang eisig. „Du hast gesagt 'Wir müssen so langsam was für die Entspannung der Situation tun' und hoppsassa!, meldet sich eine als in der Atmosphäre verglüht gemeldete Voraus-Kapsel quicklebendig über Funk! Huhu liebe Marsies! Ich bins, die vermisste Dragon! Ich habe die ganze Zeit nahe bei der Kolonie gehockt und mich gesonnt. Holt mich ab, ihr Lieben.“ Dotties Augen wurden zu Dolchen: „Dummerweise ist euch dieser bitterböse Staubsturm dazwischen gekommen. Ihr wart nicht mal in der Lage, zuerst die Großwetterlage zu checken. Ergebnis: Die Situation ist jetzt noch verfahrener als vorher. Damit hast du gleich zwei Eigentore geschossen, Liam Walther Bishop. Und jetzt will ich eine Erklärung von dir!“
„Ja, also, ehm ...“
„Sehr aufschlussreich“, kommentierte sie.
„Es ist nicht so wie du denkst“, sagte Liam.
„Doch! Es ist so wie ich denke!“, schoss sie zurück. „Ihr habt diese Kapsel ganz normal landen lassen, aber behauptet, sie sei verlorengegangen.“ Dorothy bebte vor Abscheu. „Für bessere Einschaltquoten! Damit ihr mehr Geld scheffeln konntet!“ Sie schüttelte den Kopf: „Das ist ungeheuerlich! Abartig! Krank! Habt ihr nie daran gedacht, was diese Meldung mit den Marsnauten machen könnte? Was ihr angerichtet habt?
Ethan McDuff bekam Panik. Der war kurz vorm Durchdrehen. Ihm wurde bewusst, dass Dragons abstürzen konnten und er wusste, dass er in solch eine Kapsel einsteigen musste, um auf die Oberfläche des Mars zu gelangen. Er hat eine einfache Prozentrechnung gemacht und damit wurde ihm klar, dass seine Chance, lebend auf dem Mars zu landen, ziemlich klein geworden war. Der Mann hatte Angst! Schreckliche Angst! Und dass alles nur, weil du eine Lüge in die Welt gesetzt hast, um die Einschaltquoten in die Höhe zu treiben! Wie konntest du nur! War Matt an der Sache beteiligt?“
„Nein. Matthew weiß nichts. Nur einer der Techniker. Es sollte absolut geheim gehalten werden.“
„Klar! Eine solch gemeine Aktion darf man nicht an die große Glocke hängen!“
„Okay“, sagte Liam. „Okay, hör mir zu, Dottie. Ja?“
Sie verschränkte die Arme vor der Brust: „Ich höre zu.“
„Du erinnerst dich sicher an das Apollo-Programm der Amerikaner. Die erste Mondlandung. Es war Apollo 11, die es schaffte. Alle Welt hing an den Fernsehern und verfolgte in atemloser Spannung, wie die Jungs auf dem Mond landeten. Bei der nächsten Mission schauten nur noch wenige Leute zu und als Apollo 13 zum Mond flog, wurde das nicht mal mehr im Fernsehen übertragen. Es gab keine Liveübertragung des Starts und nur drittrangige Sender zeigten hier und da ein paar Aufnahmen aus dem Innern der Kapsel. Bis der Unfall passierte. Von da an klebte ganz Amerika an ihren Fernsehgeräten. Und die Nachfolgemissionen wurden wieder im Fernsehen verfolgt.
Bei uns war es ähnlich. Anfangs schauten sie alle zu. Aber dann ließ es nach. Es passierte nichts. Alles lief wie am Schnürchen, nicht mal eine Pumpe fiel aus. Die Leute fingen an, abzuschalten. Zuerst wenige, dann mehr und schließlich so gut wie alle.
Dottie, die Quoten gingen nicht nur leicht zurück, die brachen total ein! Es schaute keiner mehr zu. Die ersten Sender waren kurz davor abzuspringen. Zum Schluss hatten wir weniger als eine viertel Million Zuschauer pro Tag. Weltweit! Wir waren am Ende. Mars First war kurz davor, abzustürzen.
Also habe ich aus der Not heraus entschieden, die Sache mit dem fingierten Absturz der Voraus-Kapsel durchzuziehen. Außer mir weiß nur einer der Techniker davon. Ich wollte das geheim halten. Ich wollte es so aussehen lassen, als hätten wir den Kontakt zur Dragon verloren. Natürlich wurde sofort auf Totalverlust spekuliert. Die Kapsel sei in der Atmosphäre verglüht, schrieben sie in der Presse.
Nun erkannte das Publikum, dass eine Dragon zwar ein prima Gerät war, aber dass sie trotzdem abstürzen konnte und die vier Marsnauten würden in genau einer solchen Kapsel zur Marsoberfläche fliegen. Plötzlich hockten sie alle wieder vor den Fernsehgeräten. Die Einschaltquoten gingen durch die Decke und wir waren aus dem Schneider.
Ursprünglich hatte ich geplant, die Kapsel 'zum Leben erwachen zu lassen', sobald die vier Kolonisten sich einigermaßen auf dem Mars eingerichtet hatten, also nach drei bis vier Wochen. Aber die bekamen alles so gut hin, dass ich entschied: Die Dragon bleibt stumm. Die sparen wir auf für den Fall, dass die Stimmung da oben mal auf dem Nullpunkt ankommt. Um die Crew zu motivieren.“
Liam setzte sich. „Ja. Genau so war das. Es sah plötzlich überall gut aus. Die Marsnauten waren wohlauf und sie planten, eine Kuppel aus Ziegelsteinen zu bauen. Alles war bestens.“
„Bis auf Ethan McDuff“, sagte Dorothy. Sie setzte sich ebenfalls. „Als er vom Verlust der Voraus-Mission erfuhr, hat ihn die Angst gepackt.“
„Das ausgerechnet McDuff einen solchen Schock erleiden würde, habe ich nicht erwartet“, sagte Liam. „Das lag nicht in meiner Absicht. Außerdem war ich der Meinung, er hätte sich wieder eingekriegt.“
„Das hat er nicht, Ly!“
Liam entspannte sich. Sie nannte ihn wieder Ly.
„Er geriet in Panik“, sagte Dorothy. „Er hatte schreckliche Angst vor dem Flug zur Marsoberfläche. Er hatte Angst und diese Angst hat ihn nie mehr verlassen. Sie war immer da. Er hat es überspielt, aber es half nichts. Die Angst hat ihn regelrecht zerfressen. Vielleicht hat er, nur um seine Angst zu überspielen, diese dämliche Nummer mit Laura abgezogen und damit die Beziehung gekillt. Jetzt steht er vollkommen isoliert da, allein und voller Angst. Was meinst du, warum er ständig von einer möglichen Rückkehrmission spricht? Er will zur Erde zurück, weil er wieder ohne Angst leben will.“
„Das ist unmöglich“, sagte Liam. „Das habe ich ihm gestern in aller Offenheit klargemacht. Ich habe ihm gesagt, dass es völlig ausgeschlossen ist, dass er zur Erde zurückkehrt. Ich wollte, dass er endlich mit dem Thema aufhört.“
Dorothys Augen wurden groß: „Du hast was?“
„Ihn abgewatscht“, antwortete Liam. Er erzählte ihr Wort für Wort, was er Ethan McDuff per Videobotschaft gesagt hatte.
„Mein Gott!“, sagte Dorothy, nachdem er geendet hatte. „Ly! Bist du dir im Klaren, was du getan hast? Du hast ihm jede Hoffnung genommen! Ly, der Mann ist kurz davor, durchzudrehen! Gott allein weiß, was der anstellt, wenn ihm die Sicherungen durchbrennen.“
„Ach komm! So schlimm ist es nicht“ wiegelte Liam ab.
Dorothy sah ihn so ernst an, dass ihm ganz anders wurde: „Liam! Es ist schlimmer! Erinnerst du dich an das, was die Zwillinge sagten? Das neue Wort, das Ethans Zustand beschrieb?“
Liam spürte, wie es ihm kalt den Rücken hinunter lief. „Chola“, sagte er.
„Chola“, wiederholte Dottie. „Ich weiß nicht exakt, was es bedeutet, aber es ist absolut nicht thetterbee. Es ist schlimmer als keelee. Viel schlimmer, Ly! Und dann dieses Robotermädchen. Es hat gesagt, dass es Angst hat. Ob Lindy-Flindy über menschliche Intuition verfügt, kann ich nicht sagen, aber ihr Prozessor funktioniert analytisch und wenn die Kleine eins und eins zusammengezählt hat und dabei herausfand, dass etwas Unheimliches mit Ethan McDuff passiert, dann hat sie allen Grund Angst zu haben.“
Liam seufzte schwer. „Ich habe Mist gebaut. Von der Seite aus habe ich das nicht betrachtet. Ich wollte, dass Ethan aufhört rumzunerven. Er macht die Fans mit seiner Rückkehrmission verrückt. Die fragen schon, wann die Rakete losfliegt. Wir haben keine und wir werden uns auch niemals eine leisten können.“
„Fahr zum Center und ruf ihn privat an“, bat Dorothy. „Jetzt gleich! Es eilt, Ly, glaub mir! Der Mann ist verzweifelt. Sag ihm, dass eine Rückkehrmission sehr wohl geplant sei, dass ihr aber noch im Anfangsstadion seid, dass noch eine Menge Forschung nötig sei. Dass ihr deshalb den Zuschauern nichts sagen wollt. Weiß doch jeder, wie ungeduldig das Publikum ist. Die wollen Ergebnisse, am liebsten gleich übermorgen.
Lass es so aussehen, als ob du dich durchringen müsstest, ihn zu fragen, ob er bereit sei, 'sich zu opfern'. Sag ihm, dass du die anderen drei nicht fragen kannst, weil sie so marsverrückt sind. Tu so, als machtest du ihm dem Mund wässrig. Erzähl ihm, dass er hier auf der Erde segeln gehen kann und Bier und Steaks haben kann, so viel er will. Und Ly, sag ihm auch, dass er mit einer späteren Mission zum Mars zurückkehren kann, wenn er das will! Das will McDuff natürlich nicht, aber dadurch kann er sein Gesicht wahren.“
„Okay“, meinte Liam. „Ich werde sagen, dass wir gewissermaßen hinter geschlossenen Türen an einer Rückreise arbeiten, dass wir aber noch ne Menge Geld zusammenbringen müssen und dass uns ein Schnösel von der NASA vorgerechnet hat, dass das, was wir planen, dreimal mehr kosten wird, als wir gedacht haben. So kann ich ihn hinhalten.“
„Ganz recht“, sagte Dorothy. „Du kannst ihm empfehlen, nicht so häufig öffentlich davon zu sprechen und ihm hier und da ein paar Brocken hinwerfen, um ihn ruhig zu stellen. Das ist nicht die feine Art, aber du musst ihn beruhigen. In einigen Wochen wird sich die Situation auf dem Mars verbessert haben. Dann denkt Ethan vielleicht nicht mehr so viel an eine mögliche Rückreise.“
„Ja, so mache ich es“, versprach Liam.
„Fahr gleich los, und tu es“, bat Dorothy. „Jede Minute zählt. Ruf ihn privat per Videobotschaft an. Selbst wenn du ihn aus dem Bett holen musst.“
Liam sah auf die Uhr. „Bis ich im Center bin, ist es auf dem Mars später Vormittag.“ Er stand auf und holte die Autoschlüssel. „Ich mache mich auf den Weg.“
„Viel Glück“, rief Dottie ihm hinterher.
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