Mars First - Mit dem One Way Ticket zum Mars(40) |
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Ethan arbeitete mit Arne Heuermann an der zweiten Kuppel. Immerhin hatte sich der Deutsche bequemt, zu helfen. Meist fand der Kerl Ausreden, um sich zu drücken, genau wie die beiden Frauen. Laura tat eh keinen Handschlag. Die schien Kuppel 2 als einen Wurmfortsatz Ethans zu betrachten und da sie Ethan schnitt, behandelte sie „sein“ Projekt mit ähnlicher Aversion. Kindisch. Absolut kindisch!
Ethan musste sich beherrschen, nicht laut zu knurren. Er war wütend. Es sah beschissen für ihn aus. Ständig musste er daran denken, wie Liam Bishop ihn am Tag zuvor abgefertigt hatte. Wie einen dummen Schuljungen hatte der Engländer ihn behandelt, dieser Schnösel, dieser Milchbubi, der aussah als käme er gerade vom College. Ein weichliches, reiches Bürschchen, das noch nie im Leben hatte arbeiten müssen. Wenn er an die arrogante Visage des Kerls dachte, ging Ethans Puls in die Höhe.
Die Stimme des Kerlchens mit dem britischen Akzent ging ihm auch auf den Zeiger. Sogar der Akzent hatte eingebildet geklungen. „Ich will Klartext reden, Ethan.“ Eingebildeter Affe! Wie er ihm erklärt hatte, was eine Milliarde sei! „Das sind eintausend Millionen, Ethan.“ Als wüsste er das nicht selbst.
Dieser Arsch! Hatte ihn dastehen lassen, wie einen dummen kleinen Jungen. Gott sei Dank war das nicht öffentlich gesendet worden. Liam Bishop war ein aalglatter Geschäftsmann, dem die Menschen egal waren. Der dachte nur an Promotion und Profit.
Ethan atmete schnaufend ein und aus. Während er einen Ziegel an seinen Platz setzte, dachte er in einer Endlosschleife an die Worte des Briten. Rückkehrmission nicht möglich. Nicht möglich. Unmöglich. Vielleicht in zwanzig Jahren. Zwanzig. Zwanzig. Jahre. Jahre. Zwanzig.
Dann bin ich fast siebzig. Siebzig. Siebzig!
Ethan hätte weinen können vor Zorn und Enttäuschung. Bishops Nachricht an ihn war ein klares Nein gewesen.
Es gibt kein Zurück. Kein Zurück! Du bleibst den Rest deines Lebens hier, Ethan. Auf dem Mars. Wo es kalt ist. Wo es keine atembare Luft gibt. Wo Meteoriten jederzeit in dein jämmerliches Aufblashabitat einschlagen können. Wo Umwälzpumpen und Atmosphärenaufbereiter streiken und wichtige Lebenserhaltungssysteme kaputt gehen. Wo deine Kameraden gegen dich sind.
Die zweite Crew würde bald starten. Es war ein kleiner Trost für Ethan gewesen. Seine Kumpane würden kommen. Doch Rick Turner hatte gekündigt. Rick kam nicht. Sein bester Freund blieb auf der Erde zurück. Motorradunfall. Rückenverletzung. Raus aus dem Projekt. Raus. Aus.
Aber Yamamoto dieser seltsame, abgehobene Japaner, der kam zu ihnen rauf! Hatte auch einen Unfall gehabt, aber nun war er fit genug für den Mars. Rick Turner nicht. Wenn wenigstens Rick gekommen wäre.
Stattdessen saß Ethan auf dem Mars fest, mit drei Leutchen, die keine Lust hatten, in die Zukunft zu investieren. Die den Bau von einigermaßen sicheren Kuppeln und Unterkünften blockierten, wo sie konnten. Die mit ihren jämmerlichen Aufblashabitaten zufrieden waren, die jede Stunde eines Marstages von einem durchs All fliegenden Stein getroffen werden konnten. Keine dichte Atmosphäre ließ diesen Stein verglühen, wie es auf der Erde der Fall war. Nein, dieser verdammte Stein würde fast ungebremst aus dem All herunterkommen und einem die Living-Unit überm Kopf zusammendreschen. Plopp! Päng! Puff! Aus die Maus. Habitat futsch. Ende Gelände. Klappe zu, Affe tot.
Ethan blickte auf. In der Ferne sah er einen der Rover auf die Kolonie zufahren. Laura. Es war Laura. Die war weggefahren, um im neuen Krater nach Leben zu buddeln. Sie war besessen von der Idee. Nichts anderes interessierte sie mehr, schon gar nicht Ethan. Für ihn hatte sie nichts mehr übrig.
Dabei hatte er sich bei ihr entschuldigt. Es war ehrlich gemeint. Wie konnte man nur so stur sein.
Arne arbeitete mit Ethan an Kuppel 2. Die erste Kuppel war soweit bepflanzt und eingerichtet, da fand sich gelegentlich Zeit, an Nummer 2 zu bauen. Am Computer hatte er zusammen mit Laura Sunderland angefangen, feste Habitate zu entwerfen. Spätestens wenn die nächste Crew eintraf wollten sie mit dem Bau beginnen. Jedes Paar sollte ein festes Haus erhalten. Nun ja … Ethan und Laura waren kein Paar mehr. Das war ein Problem. Wieder mal. McDickmaul war von Anfang an ein Problem gewesen.
Arne freute sich auf die zweite Crew. Er hoffte, dass zusätzliche Bewohner die Situation in der Kolonie entspannen würden. Wie es jetzt war, war es nicht gut. Ethan war mürrisch und ablehnend geworden. Er eckte überall an. Warum hatte der Trottel auch die miese Nummer mit Laura abgezogen?
Er hat sich denken können, dass die Aktion in die Hose geht, dachte Arne. Aber McDickkopf musste es unbedingt durchziehen. Idiot! McDepp!
Ethan meldete sich über Helmfunk: „Arne, ich muss rein. Meine Batterien sind runter, die Atemluft auch.“ Seine Stimme klang vorwurfsvoll.
Aha, dachte Arne. Der Dämlack hat mal wieder seinen Anzug nicht an die Versorgung angehängt und nun sind seine Vorräte schon nach einer dreiviertel Stunde leer. Hör sich einer diesen vorwurfsvollen Ton an! Als wären die anderen schuld dran. Häng deinen Anzug gefälligst an die Versorgung, du Komiker! Wir sind nicht deine Dienstmägde.
Er folgte McDuff zur nächstbesten Schleuse. Allein wollte er nicht weiterarbeiten.
Sie standen in der Schleusenkammer und warteten bis sie in die Dragon eintreten konnten. Ethan verließ die Schleuse als Erster. Er schälte sich eilig aus seinem Anzug und warf ihn achtlos in die Halterung. Er schloss ihn nicht an. Mit einem Seitenblick auf Arne ging er fort.
Sieh sich einer diesen Kacker an, dachte Arne. Das macht der doch mit Absicht. Nein, Freundchen! Nicht mit mir! Diesmal wische ich dir nicht den Hintern ab! Das kannst du vergessen.
Er stieg aus seinem Anzug und hängte ihn ordentlich auf. Dann schloss er ihn an die Versorgung an, damit die Batterien nachgeladen und frische Atemluft in die Tanks gepumpt wurden. Er hörte den Kompressor anlaufen.
Aus dem Augenwinkel sah er McDuff am Eingang seines Habitats innehalten und zu ihm herüber schielen. Der Mistkerl wartete darauf, ob Arne für ihn den Anzug anschließen würde.
Wie gesagt: ohne mich!, dachte Arne. Er beugte sich vor und tat als würde er Ethans Anzug anschließen, doch er tat es nicht. Ethan verschwand in seiner Living-Unit.
Arne marschierte dort vorbei, ohne McDuff eines Blickes zu würdigen. Du wirst dich wundern, mein Guter. Wenn du demnächst in deinen Anzug steigst, ist alles nach fünf Minuten leer und du kannst ihn gleich wieder ausziehen. Das wird dir eine Lehre sein, McSchwachkopf.
Er sah Lindy-Flindy an ihrer Aufladestation hocken. Sie lud ihre Antriebsbatterie auf.
Wollte McAngeber ihr nicht einen Wechselakku basteln? Nicht gemacht bis heute. Nur den Rand aufreißen, aber nichts hinkriegen. Typisch McDickmaul.
Kopfschüttelnd ging Arne zu seinem Habitat.
Ethan stand in seiner Living-Unit. Er betrachtete auf dem Bildschirm die Kameraaufnahme vom Draußen. Der Rover mit Laura an Bord kam langsam auf die Kolonie zugefahren. Laura schlich dahin.
Sie sucht garantiert jeden Zentimeter Boden vor und neben dem Rover nach Steinen ab, dachte er missmutig. Wenn sie aufhören würde zu zicken, würde ich ihr bei der Suche helfen. Wir könnten mit dem Rover weit raus fahren zu Gebieten, die sie noch nie untersucht hat.
Von ihm aus konnte sie dabei sogar ihren kleinen Adoptivroboter mitnehmen. Er würde Lindy-Flindy endlich einen Akku zum Wechseln verpassen. Die Pläne hatte er fertig im Kopf. Es war nicht schwer. Er musste ein paar Sachen am 3-D-Printer machen. Den Rest hatte er in den Regalen in der Werkstatt liegen.
Ethan kratzte sich am Bart. Vielleicht würde es Laura milde stimmen, wenn er ihr erzählte, dass er ihrem Robogirl einen Wechselakku spendieren würde? So wie es war, konnte es jedenfalls nicht bleiben. Das war kein Zustand. Es musste sich etwas ändern. Es konnte nicht sein, dass die nächsten zwanzig Jahre eisiges Schweigen zwischen ihnen herrschte.
Ethan nickte. Ja. Das war die Lösung. Er würde noch einmal mit Laura reden, ihr das mit Lindy-Flindy sagen. Sie mussten sich aussöhnen. Er brauchte Laura. Er liebte sie. Das war ihm erst in den vergangenen Tagen klar geworden. Er liebte Laura Sunderland.
Ich werde mit ihr reden, nahm er sich vor.
Er wartete eine kleine Ewigkeit. Schaute auf dem Monitor zu, wie der Rover auf die Kolonie zu kroch. In dreihundert Metern Entfernung hielt er an. Laura stieg aus.
Herrgott noch mal! Jetzt klaubt sie wieder Steine!
Ethan bebte vor Ungeduld. Komm schon, Baby, wir haben zu reden. Jetzt komm doch endlich!
Sie kam nicht. Sie drehte Steine um, einen nach dem anderen. Die Steine schienen hochinteressant zu sein. Laura untersuchte jeden ganz genau. Sie nahm sich Zeit.
Ethan wurde schier irre. Die Sekunden verstrichen qualvoll langsam. Sie schienen sich zu dehnen. Sekunden wurden zu Minuten. Laura begutachtete Steinchen dort draußen.
Mach voran, verdammt noch mal!, dachte Ethan. Er drückte an der Tastatur den Rufknopf und wollte Laura anfunken, sie möge sich beeilen. Im letzten Moment ließ er es sein. Keine gute Idee. Sie würde sauer werden, wenn er sie antrieb.
Nein Ethan, sei still, sagte er sich. Schön den Mund halten. Warte, bis sie nach Hause kommt. Es sind nur noch dreihundert Meter.
Aus den Lautsprechern ertönte Lauras Stimme: „Mann!“ Er sah, wie sie erstarrte. Hatte sie ihn gehört? Hatte er unbeabsichtigt gesprochen? Etwas Dummes gesagt? Nein, er war still geblieben. Der Rufknopf öffnete lediglich einen Sprechkanal zwischen seinem Rechnerplatz und Lauras Helmfunk. Das wurde nicht akustisch gemeldet. Kein Signal ertönte, wenn man den Kanal einschaltete. Sie konnte es höchstens auf ihrem Ärmeldisplay sehen. Laura keuchte.
„Mein Gott!“, hörte er sie sagen. „Oh mein Gott!“
Plötzlich kam Leben in sie. Ethan sah sie aufstehen und eilig in den Rover einsteigen. Das Fahrzeug setze sich in Bewegung und kam mit hoher Geschwindigkeit zur Kolonie gefahren.
Ethan lief los und stellte sich vor die Schleuse, die sie benutzen würde. Auf dem kleinen Bildschirm neben der Tür sah er Laura aussteigen und den Rover an die Ladestation anschließen. Sie wirkte ungeduldig. Mit langen Schritten kam sie zur Dragon gestapft. Er hörte sie die Leiter heraufkommen. Die Schleuse zischte. Luftaustausch fand statt. Ethan machte sich bereit.
Wir müssen reden, Laura. Dringend.
Das Okay-Signal blinkte grün. Der Meldeton erklang, ein sanftes Piepen. Die Schleusentür glitt auf. Laura kam herein. Sie hatte noch immer den Helm auf. In der rechten Hand hielt sie einen Stein von der Größe eines Ziegels.
„Laura, hör mal“, begann Ethan. „Ich möchte mit dir reden. Weißt du, du hattest recht. Ich hätte das nicht tun dürfen. Ich war ein Idiot. Ich habe wirklich großen Mist gebaut. Ich möchte dich noch einmal aus ganzem Herzen um Verzeihung bitten. Können wir ...“
Mit einer herrischen Bewegung schnitt sie ihm das Wort ab. „Lass den Quatsch, Ethan! Die Sache ist erledigt. Ich habe dir gesagt, was ich davon halte. Unsere Beziehung ist beendet. Wir sind geschiedene Leute.“
Er trat ihr in den Weg: „Laura! Hör mir bitte zu! Ich ...“
Sie stach mit der behandschuhten Hand auf seine Brust: „Geh mir aus dem Weg! Ich habe zu tun! Ich muss in mein Habitat!“ Sie schob sich an ihm vorbei und ließ ihn stehen.
Er sah sie durch die Reihe der Dragons davon eilen zu ihrem Wohn-Habitat. Zu ihrer neuen Unterkunft in Habitat 3. Sie würdigte ihn keines Blickes. Sie hatte es eilig, in ihre Bude zu kommen. Anscheinend wollte sie etwas holen und dann wieder rausgehen. Sie hatte ihren Marsanzug nicht abgelegt und den Helm noch immer auf.
Ethan stand da und glotzte hinter ihr her. Er war fassungslos.
Sie spricht nicht mit mir. Lässt mich einfach stehen. Jetzt rennt sie in ihr neues Habitat und holt etwas, Werkzeug oder ein Messgerät und dann geht sie wieder nach draußen, um ihre dämlichen Steinchen zu untersuchen. Die sind ja sooo wichtig. Und mich lässt sie stehen. Sie redet nicht mit mir. Sie will nicht. Sie geht in ihr neues Habitat.
Die neue Unterkunft. Lauras provisorisch zusammengeschusterte Wohnecke in Nr 3. Wo sie sich vor ihm zurückziehen konnte. Wo sie ihn ausschließen konnte, statt bei ihm zu wohnen in ihrer gemeinsamen Living-Unit.
„Genau das ist das Problem!“, flüsterte er. „Dieses dämliche neue private Wohn-Loch! Sie gehört dort nicht hin! Sie gehört zu mir! Sie gehört in unser Habitat! In unser gemeinsames Habitat, statt in dieses Loch! Dieses elende Loch!“
Ethan schwoll der Kamm. Sein Puls begann zu rasen. Er wurde wütend, so wütend, dass er nicht mehr klar denken konnte. Sie waren alle gegen ihn! Alle! Ausnahmslos alle! Dieser arrogante Schnösel in England, Arne Penibel-Heuermann und sogar Maus. Ja, auch Antje van Dijk. Wie die ihn neuerdings anschaute! Dieser vorwurfsvolle Blick. Diese anklagenden Augen.
Keine Heimkehr. Keine Rückkehr zur Erde. Für immer hier. Auf dem Mars. Auf dem kalten, lebensfeindlichen roten Planeten. Isoliert und allein. Und Laura zickte.
„Daran ist nur ihr blödes neues Loch schuld!“, knurrte er. „Diese Studentenbude, die sie sich in Habitat 3 eingerichtet hat! Dieses Loch! Dieses ...“ Er atmete hektisch. Vor seinen Augen tanzten farbige Schleier.
Laura musste zu ihm zurückkommen. Auf der Stelle. Sofort. Doch sie war zu ihrem dämlichen Ausweichquartier gelaufen, zu der Bruchbude in Nummer 3, wo sie nicht hingehörte. Diese blöde Privatlounge! Diese …
„Ich werde dir zeigen, wo du hingehörst, Laura!“, wisperte Ethan. „Du gehörst zu mir! Ich werde dir zeigen ...“ Er lief zu der Station, wo die Marsanzüge an der Versorgung hingen. Lauras Anzug fehlte. Klar, den trug sie ja noch. Sie war nur zu ihrer Privatwohnung gerannt, um etwas zu holen. Ethan stieg in seinen Anzug. Er schloss ihn und zog den Helm an.
Mit entschlossenen Schritten lief er durch die Reihe der Dragons. Er würde es Laura zeigen. Wenn sie erst ihre neue Bude los war, würde sie zur Vernunft kommen. Ohne ihre neue Wohnung hatte sie keine Bleibe. Dann musste sie zu ihm zurückkommen. Dann konnten sie sich aussprechen und wieder ein Paar werden. In ihrem gemeinsamen Habitat.
In Kapsel 4 nahm er den großen Pickel aus der Halterung. Der hing dort für den Fall, dass man schweres Werkzeug brauchte. Beim Bau von Kuppel 1 hatte Ethan damit den Marsboden aufgeschlagen, damit man den Untergrund ausschaufeln konnte.
Vor sich hin brabbelnd lief er weiter zu Habitat 3, wo Laura war. Er hielt den großen Pickel fest in Händen.
Dir werde ich helfen! Ich werde dir ein schönes Loch in dein Privat-Loch schlagen! Puff! Kaputt! Ich werde deine neue Wohnung löchern, meine Liebe. Yes, Madam. Ein Loch in der Bude! Keine Bude, keine Bleibe. Dann werden Sie zurückkehren in unser gemeinsames Habitat, wo Sie hingehören! Wie es sich gehört!
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