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Stefan Steinmetz
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Wenn der Rote Hahn kräht(13) Zitatantwort auf diesen Beitrag erstellen Diesen Beitrag editieren/löschen Diesen Beitrag einem Moderator melden       IP Information Zum Anfang der Seite springen

Er fasste nach Magdalenas kleiner Hand: „Wollen wir nachsehen, wo du ein Zimmer haben möchtest? Such dir eins aus. Es gibt viele Räume in dem alten Kasten.“
„Oben“, sagte das Mädchen. Seine Stimme war ganz leise. „Mein Zimmer lag oben.“
Sie stiegen die Treppe in den zweiten Stock hinauf. Pascal überlegte, ob die Familie Hennes schon vor 1631 wohlhabend gewesen war. Wie sonst hätte sie ein dermaßen großes Haus bauen können? Aber ihr wart nicht zufrieden mit dem, was ihr hattet!, dachte er voller Grimm. Ihr wolltet das Haus vergrößern. Ihr habt den Hals nicht voll genug bekommen! Silber sollte euch riesigen Reichtum bringen und dafür habt ihr euer eigenes Kind geopfert, geopfert auf dem Altar einer widernatürlichen dämonischen Macht. Dreckiges Pack! Verflucht sollt ihr sein!
Sie kamen oben an. Magdalena lief den Gang entlang, der von der Treppe wegführte. Sie lief ganz nach hinten. Pascal wollte dir schon sagen, das sei nichts. Als er einige Tage zuvor oben gewesen war und sich alles angeschaut hatte, endete der Gang im Nichts. Ganz hinten gab es keine Türen mehr.
Aber Magdalena schritt ungerührt aus, bis sie am Ende des Ganges stand. Pascal war verblüfft. Das Mädchen stand vor einem deckenhohen, schweren Vorhang. „Aber … der war vor drei Tagen noch nicht da!“, sagte er. „Da war … da war … nichts! Eine Wand! Wie …?“
Magdalena zog den Vorhang auf. Dahinter kam eine schwere Eichentür zum Vorschein. Das Mädchen drückte die verschnörkelte schmiedeeiserne Klinke herunter und stieß die Tür auf.
„Das gibt‘s doch nicht!“, hauchte Pascal. „Dieser Raum war letztens noch nicht da.“ Er ließ den Blick über das Zimmer schweifen. Ein Bett auf gedrechselten Füßen stand an der Wand. Daneben gab es einen offenen Kamin. Es gab einen Tisch mit Stühlen mitten im Raum, die auf einem wertvoll aussehenden Teppich standen. Auch an der Wand hingen Teppiche. Sie zeigten Tiermotive: Rehe und Füchse im Wald, Hasen und Rebhühner im offenen Land, Schafe und Lämmer und Ziegen mit kleinen Zicklein am Dorfrand. Dies war offensichtlich ein Mädchenzimmer.
Er sah Puppen auf einem Regal an der Wand. Es gab ein bunt bemaltes Schaukelpferd, ein Springseil mit rotlackierten Handgriffen, eine Kleidertruhe, Bücher in Regalen und weiteres Spielzeug. Was ihn vollends aus der Fassung brachte, war der Zustand des Zimmers. Es sah aus, als sei es gerade erst geputzt worden. Es gab nicht ein einziges Staubkorn im gesamten Raum.
„Hier ist alles tipptopp sauber“, sagte er.
Magdalena sah zu ihm auf: „Die kalte Flamme hat alles erhalten. Nach mir ist in dieser Familie kein neues Mädchen erwählt worden, sonst hätte es hier gewohnt.“
„Da sind dichte Vorhänge an den Fenstern“, sagte Pascal. „Wenn man die zuzieht, sieht man von außen nicht, wenn in diesem Zimmer Licht brennt. Hmmm …“ Er ließ den Blick schweifen. Er suchte vergebens nach einem Lichtschalter. Es gab keinen, ebenso wenig wie Steckdosen. „Hier gibt es keinen Strom, Magdalena. Willst du nicht lieber ein anderes Zimmer?“
Sie schaute ihn fragend an: „Strom?“
„Strom. Elektrizität“, sagte Pascal. „Komm mal mit.“ Er nahm das Mädchen in das angrenzende Zimmer mit. Dort betätigte er den Lichtschalter neben der Tür. An der Decke flammte eine Lampe auf.
Magdalena schreckte zurück. „Was ist das?“, rief sie. „Zauberei?“
„Strom“, antwortete Pascal. „Elektrizität. Eine unsichtbare Energie, die durch Kupferdrähte in der Wand fließt. Elektrizität kann alles: Licht im Dunkeln erzeugen, Musik machen, Waschmaschinen betreiben, Küchengeräte, Bohrmaschinen … einfach alles. Tja …“ Er kratzte sich am Kopf. „Du bist auf dem Stand von 1631. Au Backe! Du hast in deinem Verlies nicht mitbekommen, wie es weiterging mit der Welt. Industrielle Revolution, Kriege, Demokratie … hmmm … kannst du lesen?“
Das Mädchen nickte: „Schreiben kann ich auch. Hast du Pergament?“
„Nein … ich … habe Papier.“
„Kann man das auch mit einem Gänsekiel beschreiben?“
„Ich glaube schon. Aber ein Kugelschreiber sicher bequemer. Oder ein Füller.“ Pascal fasste die grob gewebte Kleidung des Mädchens an: „Davon weißt du natürlich nichts. Sieh sich einer dieser Klamotten an. Wir sollten Sachen für dich im Internet bestellen. Danach kannst du dir die Welt auf dem Bildschirm anschauen. Du brauchst bloß das, was du wissen willst, in die Suchmaske des Browsers einzugeben.“ Pascal nickte: „Das sollten wir gleich machen. Ich zeige dir wie ein Computer funktioniert.“
„Kommpjuta?“
„Ein elektronischer Rechner. Den nennt man so.“ Pascal nahm Magdalena mit in sein Arbeitszimmer. Das Mädchen schaute die Einrichtung verblüfft an: „Hier ist alles so … so anders.“
„Vierhundert Jahre sind vergangen“, sagte Pascal. „Da ändert sich viel. Warte erst mal ab, wenn ich dich im Auto mitnehme.“ Wieder war er fassungslos. Da stand er in diesem Zimmer und unterhielt sich in aller Ruhe mit einem Geist oder was immer Magdalena auch war.
Er fuhr den Computer hoch. Nach wenigen Sekunden erwachte der große Bildschirm zum Leben.
Magdalena starrte das Ding mit offenem Mund an. „Das … das lebt!“
„Könnte man beinahe sagen. Es ist gewissermaßen eine künstliche Intelligenz.“ Er holte einen Stuhl für Magdalena und stellte ihn neben seinem eigenen auf. „Lass uns erst mal nach Klamotten schauen.“ Er sah an Magdalena auf und ab: „So wie du angezogen bist, kannst du dich draußen nichts blicken lassen. Du fällst sofort auf.“
Er surfte eine Seite mit Kindermoden an. „Da schau. Schicke Jeans. Genau das richtige für eine junge Dame wie dich.“
„Hosen?“, sagte Magdalena zweifelnd. „Ich soll Jungenkleidung tragen?“
„Heutzutage tragen auch Mädchen Hosen. Wenn du willst, kannst du aber auch Röcke haben oder Sommerkleider. Das gibt es alles hier im Webshop.“
„Wäbbschopp“, sagte Magdalena. Fasziniert schaute sie die bunten Bilder auf dem Bildschirm an. „Tschiiiienß.“
„Ja, Jeans. Hmm … ich brauche deine Größe … hier muss irgendwo eine Tabelle sein … warte mal … ach ja, da haben wir es. Mädchengrößen und Schuhgrößen.“
Pascal stand auf und holte einen Zollstock aus dem Schrank. „Ich muss dich messen, Fräulein. Zieh die Schuhe aus.“
Brav, wenn auch leicht verwirrt, zog Magdalena die Schuhe aus. Auf Pascals Weisung stellte sie sich mit dem Rücken an die Wand. Er maß ihre Höhe, dann maß er die Länge ihrer Füße.
„Mein Gott, hast du dir ein halbes Schaf an die Füße gebunden?“, fragte er, als er die dicken groben Wollstrümpfe sah, die sie trug. „Kratzewolle! Das Zeug kratzt doch garantiert wie blöde. Na, wir bestellen dir Baumwollsocken. Die tragen sich viel angenehmer.“
Magdalena riss die Augen auf: „Baumwolle? Nur sehr reiche Leute können sich Baumwolle leisten. Sie ist sogar teurer als Seide.“
Pascal lächelte sie freundlich an: „Heutzutage ist Baumwolle kein Luxusgut mehr. Schau her, mein Hemd ist aus Baumwolle. Die Hose auch.“
„Tschiiienß“, sagte Magdalena. Man sah ihr an, dass das alles ein bisschen zu viel für sie war. Aber sie hielt sich tapfer und surfte mit Pascal die Webseite rauf und runter. Zum Schluss bestellte Pascal einen ganzen Schrank voller Klamotten plus Schuhe für seinen kleinen Gast.
Er klickte unter dem Rechnungsbetrag auf den Button von PayPal. „So. Fertig. Alles bezahlt und was das Schönste daran ist: das Geld stammt von den fünf Familien. Ich habe es geerbt.“ Er schaute Magdalena an. „Was fange ich jetzt mit dir an? Mit hinaus kannst du nicht. In dem Aufzug darf dich niemand sehen. Du würdest auffallen wie ein bunter Hund. Ich muss aber noch schnell mit dem Auto in den Supermarkt, einige Sachen kaufen, auch Essen. Hast du Hunger?“
Magdalena schüttelte den Kopf. „Ich mag nichts essen. Die kalte Flamme erhält mich am Leben.“
„Trinken?“, Fragte Pascal.
„Kein Essen und nichts zu trinken“, sagte Magdalena.
„Hast du nie Hunger?“, fragte Pascal, „oder Durst?“
Sie schaute ihm an, dass ihm ganz anders wurde. „Jetzt nicht mehr. Aber am Anfang … Am Anfang war es entsetzlich. Ich hatte schrecklichen Hunger und hatte nichts zu essen. Doch am schlimmsten war der Durst, brennender Durst. Mit jedem Tag im Verlies wurde es schlimmer. Ich habe gerufen, ich habe geschrien. Ich habe um Wasser gefleht, nur einen einzigen Schluck! Wochenlang habe ich um Wasser gebettelt. Monatelang. Aber ich bekam nichts. Ich habe unvorstellbar gelitten. Ich dachte an nichts weiter als an Wasser und ein Stück Brot. Ich hätte alles für ein Glas Wasser und ein Stück Brot gegeben. Aber ich bekam nichts. Zum Schluss wollte ich nur noch sterben, damit die Qual ein Ende hat. Aber die eisige Flamme in meinem Herzen ließ nicht zu, dass ich starb. Ich durfte nicht sterben. Stattdessen sollte ich bis in alle Ewigkeit verhungern und verdursten. Ich habe gebettelt. Ich habe gefleht. Ich habe geschrien. Ich habe geheult wie ein Tier. Aber mein Flehen wurde nicht erhört. Das einzige Wesen, dass mein verzweifeltes Betteln hörte, war der dunkle Fürst. Er labte sich an meinen Qualen. Er suhlte sich in meiner Verzweiflung. Er fraß meinen Schmerz und meine Angst. Davon ernährte er sich all die vielen Jahre.“
Pascal fühlte Übelkeit aufsteigen. Man hatte diesem Kind Entsetzliches angetan. Man hatte es einer dämonischen Lebensform quasi zum Fraß vorgeworfen. Dieses Kind hatte jahrhundertelang grauenhafte Qualen durchlitten. Neben der aufsteigenden Übelkeit spürte er noch etwas anderes: eisige Wut. Wut auf die scheinheiligen Mistbienen aus den fünf Familien.
Ihr Unmenschen!, dachte er. Ihr seid keine Menschen, ihr seid Monster!
Er wandte sich an Magdalena: „Du bist frei. Möchtest du jetzt etwas essen und trinken?“
Das Mädchen schüttelte den Kopf: „Ich mag nichts essen und ich mag nichts trinken. Ich kann es gar nicht mehr. Das ist in mir gestorben.“ Sie sah ihn aus großen Augen an: „Wenigstens leide ich nicht mehr. Es tut mir nicht mehr weh. Ich verspüre keinen Hunger und keinen Durst mehr. Irgendwann, nach vielen Jahrzehnten, ließ es nach. Irgendwann spürte ich keine Qual mehr. Aber es hat sehr lange gedauert, bis es soweit war.“
Pascal musste schlucken, bevor er sprechen konnte: „Wie lange?“
Magdalenas Augen waren dunkle Teiche im schon schummrigen Licht im Zimmer: „Ich weiß nicht, wie lange es gedauert hat. Der schreckliche Durst verschwand nicht sofort, sondern es wurde ganz allmählich weniger qualvoll, bis das dringende Gefühl, unbedingt etwas trinken zu müssen, ganz verschwunden war. Es dauerte lange, sehr lange. Aber irgendwann ließ es dann nach.“
„Wann?“, fragte Pascal.
Sie zuckte die Achseln: „Ich weiß es nicht. Ich weiß nur, dass ich dankbar war, dass diese Folterqual endete. Es dauerte Jahre, bis es ganz vorbei war.“
Pascal schluckte erneut. Er musste sich räuspern, bevor er weitersprechen konnte. Er wollte erst nicht fragen, er schreckte davor zurück, aber er musste es wissen: „War das vor oder nach dem großen Donnergrollen?“
Sie sah ihn aus großen Augen stumm an. Lange. Schließlich gab sie Antwort. Ihre Stimme war so leise, dass er sich fast nicht verstand: „Danach. Es begann nach dem großen Donnergrollen aufzuhören, ganz langsam nur, jeden Tag, jeden Monat, jedes Jahr war es ein bisschen weniger qualvoll, bis es endlich ganz weg war.“
Ich glaub, ich muss gleich kotzen!, dachte Pascal. Er wusste, was Sache war. Dieses arme Mädchen hätte auf weitere Jahrhunderte ewigen Durst und ewigen Hunger erlitten. Aber als seine Vorfahren aus Silberberg flohen, zerbrachen sie den Kreis der großen Fünf und die Macht des Fürsten der Dunkelheit, wurde ein Stück weit gebrochen. Er verlor einen Teil seiner Macht über das eingekerkerte Kind und konnte es nicht länger unablässig foltern.
Seine Wut auf die Leute, die dafür verantwortlich waren, wuchs noch weiter an. Er war so zornig, dass er am liebsten jemanden verprügelt hätte –mit einem Brecheisen.
Magdalena sein immer noch mit diesem traurigen Blick an: „Du brauchst dir wirklich keine Sorgen zu machen. Ich habe keinen Durst mehr und auch keinen Hunger. Es quält mich nicht länger. Zeigst du mir, wie man mit dem Kommpjuta umgeht? Dann kann ich mir die Welt auf diesem lebendigen Bild anschauen.“ Sie tippte den Bildschirm mit der Fingerspitze an.
Wieder musste Pascal schlucken. „Gute Idee“, sagte er. Er musste sich Mühe geben, ganz normal zu sprechen. „Im Internet findest du alles, was du wissen willst.“ Er weihte das Mädchen in die Bedienung des Rechners ein, zeigt dir, wie man mit der Maus arbeitete und wie man die Tastatur bediente. Dann nahm er einen Zettel und notierte, was er alles kaufen wollte.
Magdalena starrte den Kugelschreiber in seiner Hand an: „Tauchst du das nicht in Tinte?“
„Das ist ein Kugelschreiber.“ Er hielt ihr die Spitze des Kulis vor die Nase. „Siehst du die winzig kleine Kugel an der Spitze? Wenn man damit übers Papier fährt, rollt sie und dabei holt sie Tinte aus der Mine im Inneren des Schreibers. Gib doch mal das Wort Kugelschreiber in die Suchzeile ein. Dann landest du auf Wikipedia oder einer ähnlichen Seite, wo dir alles im Detail erklärt wird, mit Fotos und kleinen Filmchen.“
Er sah wie Magdalena den Begriff Kugelschreiber eingab. „Jetzt Enter drücken“, sagte er. „Da hast du es. Klicke auf den ersten Eintrag. Bitteschön! Da hast du alle Infos, die du brauchst. Ich muss jetzt los. Es dauert nicht lange. Ich fahre mit dem Auto.“
Pascal verließ das Haus. Er stieg in seinen Wagen, ließ den Motor an und fuhr los. Beim Anfahren sei ein kleines schmales Gesicht hinter einem Fenster des Hauses. Die Augen in dem Gesicht waren ungläubig aufgerissen.
*
Es war Abend. Pascal brachte seinen kleinen Gast zu Bett. In einer Kleidertruhe befand sich Nachtwäsche. Es gab auch unterschiedliche Alltagskleidung für Sommer und Winter, sowie Schuhwerk. Alles war bemerkenswert gut erhalten. Die Sachen sahen nicht aus, als seien sie 400 Jahre alt. „Die kalte Flamme hat es erhalten, wie sie mich erhalten hat“, hatte Magdalena gesagt.
Während er zusah, wie das Mädchen sich für die Nacht umzog, dachte Pascal nach. Da war irgendetwas in seinem Kopf. Es versteckte sich hartnäckig vor ihm. Es war, wie beim Lösen eines Kreuzworträtsels, wenn man ein bestimmtes Wort suchte. Es lag einem auf der Zunge, aber man kam einfach nicht darauf. Es machte Pascal ärgerlich. Da war etwas. Etwas Wichtiges, dass er übersehen hatte, aber ihm fiel nichts ein.
„Kannst du überhaupt schlafen?“, Fragte er. „Wo du doch nicht essen und trinken kannst.“
„Ich kann schlafen“, sagte Magdalena. Ich bin jetzt frei. Solange ich eingemauert war, konnte ich nicht schlafen. Die kalte Flamme erlaubte das nicht, aber sie hat jetzt nicht mehr so viel Macht über mich.“ Sie streifte ein Nachthemd aus Leinenstoff über.
„Morgen gehe ich rüber ins Bauernhaus von Alba und schlage im Keller die Wand ein“, sagte Pascal. „Dann kann man von hier aus unterirdisch dorthin gelangen. Das ist ziemlich praktisch, wenn man nicht möchte, dass einen jemand sehen kann. Man braucht bloß eine elektrische Lampe.“
Er nickte mit dem Kopf in Richtung Nachttisch, wo eine Feuerhand-Sturmlaterne stand. Sie sah exakt genauso aus wie die normalen Petroleumlaternen des Herstellers, aber im Petroleumtank befand sich ein Akku und die Laterne hatte Leuchtdioden anstelle eines Dochtes. Er hatte das Ding im Supermarkt gekauft.
Magdalena legte sich ins Bett. Pascal deckte sie zu.
„Gehört das Bauernhaus dir?“, fragte das Mädchen.
Pascal nickte: „Ich lasse es herrichten und dann ziehe ich dort ein. Der riesige Kasten hier gefällt mir nicht. Ich habe Dr. Bendler gleich am ersten Tag gesagt, dass ich nicht im Herrenhaus wohnen bleibe. Dieses Haus behagt mir nicht. Es ist …“ Er suchte nach Worten. „Ich war … schon als ich das erste Mal vor diesem Haus stand, gefiel es mir nicht. Es wirkte ablehnend auf mich, als könne das Haus mich nicht leiden. Als wäre es böse auf mich.“ Pascal lachte leise: „Damals dachte ich, ich bilde mir was ein. Es war nur so ein Gefühl, aber nun, wo ich dich da unten in dem Verlies gefunden habe, sehe ich alles mit ganz anderen Augen. Ich schätze, es ist was dran an meinem Bauchgefühl.“
Und da ist noch etwas anderes, etwas Wichtiges, dass ich bis jetzt übersehen habe, dachte er. Hoffentlich fällt es mir bald ein.
Er zog Magdalena die Decke hoch, bis sie ganz zugedeckt war. Sie schaute zu ihm auf. „Was ist?“, fragte er.
„Mein Vater hat das nie getan“, sagte sie. „Meine Mutter auch nicht.“
„Ich tue es aber“, sagte er und gab ihr einen Kuss auf die Stirn. „Schlaf gut, Magdalena. Ich mache deine Lampe aus. Wenn du Licht brauchst, kannst du sie einschalten. Du weißt ja, wie es geht. Gute Nacht.“
Als er zur Tür ging, hörte ein leises Stimmchen hinter sich: „Gute Nacht, Pascal.“
Pascal ging nach unten. Dort saß er eine geschlagene Stunde vor seinem Computer, ohne sich zu rühren. Was er erlebt hatte, hatte ihn zutiefst aufgewühlt. Er war noch immer fassungslos. Er hatte in einem unterirdischen Gang einen Geist gefunden oder was auch immer Magdalena war. Er hatte von solchen Sachen gelesen, aber er hatte nie daran geglaubt. So etwas gab es nur in Büchern und Filmen. Doch er hatte gerade ein Geistermädchen zu Bett gebracht. Er hatte ihr sogar eine gute Nachtkuss gegeben. Pascal fühlte sich seltsam. Alles kam ihm unwirklich vor. Wie er auch in Gedanken an die Angelegenheit heranging, er konnte sich keinen Reim darauf machen.
Morgen früh hacke ich den Gang von der anderen Seite aus auf, nahm er sich vor. Dann sehen wir weiter. Er stellte seinen Wecker und ging zu Bett.

13.10.2024 09:40 Stefan Steinmetz ist offline Email an Stefan Steinmetz senden Beiträge von Stefan Steinmetz suchen Nehmen Sie Stefan Steinmetz in Ihre Freundesliste auf
 
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